Worauf es ankommt

EURO 70: Europaweite Evangelisation mit Billy Graham

Dortmunder Westfalenhalle: Der amerikanische Prediger Billy Graham veranstaltet 1970 in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Allianz eine „Evangelisation“, die in weitere 35 Städte in Deutschland und Europa übertragen wird. Für die damalige Zeit eine technische Sensation. Die Menschen in den Kirchen und Kongresshallen der einzelnen Städte erleben die Veranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle so, als wären sie vor Ort dabei. In der Festhalle unseres Ortes haben sich rund 1.000 Zuschauer eingefunden. Gebannt sitze ich unter ihnen. Ich bin 13 Jahre alt.

Billy Graham: „Maschinengewehr Gottes“

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Billy Graham ist der damals bekannteste US-Prediger – und ein Vertrauter des US-Präsidenten. In einem Film aus dem Jahr 1954 ist zu sehen, wie es dem Prediger Billy Graham gelingt, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Der Film berichtet von einer Evangelisation im Berliner Olympiastadion. 16 Jahre später erlebe ich etwas ähnliches. 

Billy Graham gilt als „Maschinengewehr Gottes“. Er spricht anders als der Pastor unserer Kirchengemeinde. Seine Sätze sind kurz. Er verspricht Trost und Freude – von „Buße“ ist keine Rede. Jeder Halbsatz seiner Predigt wird sofort von einem Dolmetscher übersetzt. Dieses Sprech-Staccato, das ich auf der Kinoleinwand erlebe, wühlt mich innerlich auf. Mich überkommt ein ekstatisches Gefühl. Dann folgt der Höhepunkt: Billy Graham fordert die Besucher auf, sich zu erheben: „Komm nach vorn und übergib dein Leben dem Herrn Jesus“.

Vor der Kinoleinwand

Der Satz trifft mich wie ein Schlag. Gerne würde ich ihn befolgen. Ich möchte ein „Jünger Jesu“ werden. Aber um nach vorne zu kommen und vor die Kinoleinwand treten zu können, müsste ich durch die lange Stuhlreihe laufen. Die in der Reihe sitzenden Menschen würden sich erheben und mich dabei ansehen. Das ist mir peinlich. Billy Graham scheint das zu ahnen. Mein Zögern überwindet er mit den Worten: „Jesus Christus sagt: Wer sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem bekenne auch ich mich vor meinem Vater.“

Nach diesen Worten ist mein Widerstand gebrochen. Ich stehe auf und gehe durch die Stuhlreihe nach vorn zur Kinoleinwand. Ich weine vor Erregung. Es stört mich nicht, dass die Menschen meine Tränen sehen. Gemeinsam mit anderen Besuchern stehe ich vor der Leinwand. Die Organisation der Veranstaltung ist perfekt. Für jeden von uns steht ein ehrenamtlicher Helfer bereit, um ihn seelsorgerlich zu betreuen.

Plötzliche Ernüchterung

Den Helfer, der sich neben mich stellt, kenne ich bereits. Er ist einige Jahre älter als ich und wohnt in demselben Stadtteil wie ich – nur ein paar Straßen von meinem Zuhause entfernt. Er ist mir unsympathisch. Mein ekstatisches Gefühl erlischt. Ich bin ernüchtert. Warum stehe ich hier? Die Wirkung der Predigt ist dahin. 

Es kommt eben auf den Menschen an.