„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“? An meine dreijährige Lehrzeit in der Oldenburger Glasformenfabrik Eduard Beyer denke ich gerne zurück. Die Fabrik stellte Metallformen für die Glas- und Kunststoffindustrie her. Die Lehrzeit war für mich eine „lehrreiche“ Zeit. Die Welt der Facharbeiter, die ich in der Fabrik erlebte, unterschied sich deutlich von der Welt der Hilfsarbeiter und Tagelöhnerdes Hafens.
Im Büro arbeiteten neben dem Inhaber nur noch der Prokurist, der Betriebsleiter und zwei weitere Angestellte. Im Nebenraum saßen drei technische Zeichner. Alle anderen waren in der Produktion tätig: als Werkzeugmacher, Dreher, Schlosser oder Ziseleur. Nach meiner Erinnerung gehörten alle Arbeiter der IG Metall an. Die Fabrik war ein gewerkschaftlicher Musterbetrieb.
Politische Umtriebe
Zu Beginn der Ausbildung trat auch ich der IG Metall bei. Bald gehörte ich dem Ortsjugendausschuss der IG Metall an. Gemeinsam mit anderen Lehrlingen gründete ich eine gewerkschaftliche Betriebsjugendgruppe. Von den insgesamt 14 Lehrlingen, die es in dem Betrieb gab, nahmen im Durchschnitt zehn Kollegen an den wöchentlichen Sitzungen teil, die vierzehntätig in dem „Wohngemeinschafts-Haus“ stattfanden, in dem ich seit Anfang 1976 wohnte. Wir sprachen über betriebliche und allgemeine politische Themen. Das geschah in der Form, dass einer der Kollegen einen Zeitungartikel, über den wir anschließend diskutierten, laut vorlas. Dazu gehörten auch Artikel aus nationalrevolutionären Zeitschriften bzw. Flugschriften wie „neue zeit“ (Magazin), „Rebell“ (Flugschrift für Schüler und Studenten), „Freiheitskampf“ (Flugschrift für Lehrlinge und Jungarbeiter). Wir beteiligten uns an Demonstrationen und fuhren gemeinsam nach Brokdorf, um gegen den Bau des dortigen Atomkraftwerks zu protestieren.
DKP und MSB Spartakus
Bald konnte ich erleben, dass nicht jeder, der die „Einheit der Arbeiterklasse“ und den Wert der Einheitsgewerkschaft propagiert, sich auch so verhält. Das galt vor allem für die Mitglieder und Sympathisanten des „Kommunistischen Bundes“ (KB), der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) bzw. der „Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“ (SDAJ). Sie wollten mich aus Gewerkschaft und Ortsjugendausschuss hinausdrängen, weil ich Mitglied einer nationalrevolutionären Organisation war, die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet hatte und für die Wiedervereinigung eintrat. Doch meine Gegner hatten keinen Erfolg. Das lag auch an den Kollegen, die der SPD nahestanden, und die mich unterstützten.
Wie hinterhältig sich die politischen Freunde der DDR damals verhielten, zeigt folgende Geschichte: Einmal hatte ich gemeinsam mit einigen Kollegen Bildungsurlaub für eine Seminarwoche der Gewerkschaft beantragt. Als die Genehmigung erteilt war und wir von der Gewerkschaft „Grünes Licht“ erhielten, fuhr ich einen Tag vor der geplanten Reise zum Gewerkschaftshaus, um die Unterlagen abzuholen. Die Gewerkschafts-Kollegin händigte mir für jeden Teilnehmer einen Umschlag mit den Unterlagen aus. Nur für mich war kein Umschlag dabei. Die Kollegin ging von einem Versehen aus – und verwies auf eine spätere Seminarwoche, an der ich ersatzweise teilnehmen könne. Aber es war kein Versehen.
Meine Kollegen fuhren ohne mich. Als sie nach einer Woche zurückkehrten, erfuhr ich von ihnen, dass die von der Gewerkschaft beauftragten „Teamer“ das Seminar genutzt hätten, um gegen mich zu hetzen. Dass ich keinen Platz erhalten hatte, war Absicht gewesen. Die „Teamer“ hatten meine Teilnahme verhindert, um meine Kollegen ungestört über mich „aufklären“ zu können.
Viele „Teamer“ kamen aus dem universitären Bereich und gehörten dem „MSB Spartakus“, der Studentenorganisation der DKP, an. Wer damals die Menschenrechtsverletzungen in der DDR sprach und für die deutsche Einheit eintrat, war in den Augen dieser Leute ein Feind, der „auszuschalten“ bzw. zu „isolieren“ war. Deshalb hatten sie auch keine Skrupel, mich als „Gewerkschaftsfeind“ zu diffamieren. In ihren Augen heiligte der Zweck die Mittel. Oder waren sie so verblendet, dass sie das glaubten, was sie sagten?