Schweinefraß

Eduard Beyer Glasformenfabrik

Im Jahr 1877 gründete der Schlossermeister Eduard Beyer in Oldenburg die Eduard Beyer Glasformenfabrik. Davor war er in der Oldenburgischen Glashütte (OGA) als Formenbauer beschäftigt gewesen. Beide Unternehmen waren südlich des Oldenburger Hafens, in Osternburg, ansässig – nur zwei Straßen voneinander entfernt. Die Glashütte verfügte am Hafen über einen eigenen Kai.

In der Eduard Beyer Glasformenfabrik wurde ich von 1974 bis 1977 zum Industriekaufmann ausgebildet. Das verdankte ich dem Inhaber des Unternehmens, Frank Backmann. Er hatte die Glasformenfabrik von seinem Vater übernommen und bot mir den Ausbildungsplatz an, obwohl ich nicht einmal den Hauptschulabschluss besaß.

Firmeninhaber Frank Backmann

Als Frank Backmann das väterliche Erbe antrat, bewegte sich das Unternehmen in schwerem Fahrwasser. Die Preise für Glasformen waren unter Druck geraten, und die Abhängigkeit von der Glasindustrie war groß. Deshalb suchte Frank Backmann auch in der Kunststoffindustrie nach Auftraggebern. Das führte zur Umfirmierung. Die „Eduard Beyer Glasformenfabrik“ wurde in „Beyer Formenfabrik“ umbenannt. Dem Firmeninhaber merkte man die Probleme, die er zu bewältigen hatte, nur selten an. Frank Backmann war ein großzügiger Chef. Seine geistige Unabhängigkeit und seine persönliche Sparsamkeit beeindruckten mich. Es schien, als wollte er jede verdiente Mark gleich wieder investieren.

Schriftzug am Firmengebäude

Von den rund 80 Beschäftigten waren die meisten als Facharbeiter in der Produktion tätig. Hier waren viele Berufsgruppen vertreten: Dreher, Schlosser, Werkzeugmacher und Ziseleure. In den vier kleinen Büroräumen saßen der Inhaber, der Betriebsleiter (Hans Eifler, verstorben), der Buchhalter und Prokurist (Heinz Borchardt, verstorben), zwei Sachbearbeiterinnen (Erika Paradies und Frau Neumann, beide verstorben), drei technische Zeichner und der kaufmännische Lehrling, also ich. Eine schlanke Verwaltung – und das noch ohne eigene IT. Nur die Löhne und Gehälter wurden bereits von einem externen Dienstleister elektronisch abgerechnet.

Essen der Großküche

Den Beschäftigten stand für die Pausen ein großer Raum zur Verfügung, in dem der Betriebsrat auch die Betriebsversammlungen durchführen konnte. Hier nahmen die Arbeiter und die gewerblichen Lehrlinge ihre Mahlzeiten ein. Kein Angestellter verirrte sich dorthin. Deshalb wurde ich im Büro erstaunt angesehen, als ich mich mittags zum ersten Mal in den Pausenraum begab. Ich wollte die anderen Lehrlinge kennenlernen.

Einige Arbeiter der Glasformenfabrik brachten ihr Mittagessen in einem „Henkelmann“ von zu Hause mit. Doch die meisten Arbeiter nutzten das Angebot einer Großküche, die in Portionsschalen aus Alufolie täglich ein Mittagsmenü lieferte. Wer von den Portionen nicht satt wurde, konnte sich aus den mitgelieferten Blechkübeln Kartoffeln und Gemüse als „Nachschlag“ nehmen.

Nachschlag in den Blechkübeln

Ich war früh bei meinen Eltern ausgezogen. Die Miete bestritt ich aus der Ausbildungsvergütung und einem Mietzuschuss des Wohnungsamtes. Trotzdem war es für mich finanziell knapp. Da ich auf bestimmte Ausgaben nicht verzichten wollte, versuchte ich, an anderer Stelle Geld zu sparen.

Beim Mittagessen schien das der Fall zu sein, denn die Blechkübel, in denen sich das Essen für den „Nachschlag“ befand, waren am Ende der Pause regelmäßig noch gut gefüllt. Deshalb verzichtete ich auf das Menü der Großküche. Stattdessen aß ich von dem, was am Ende der Pause in den Blechkübeln übrig blieb. Damit nahm ich niemandem etwas weg. Das dachte ich jedenfalls.

Der Betriebsratsvorsitzende …

Der Betriebsratsvorsitzende sah das anders. Nachdem ihm aufgefallen war, dass ich mich zum Ende der Pause aus den Blechkübeln bedient hatte, sprach er ein Machtwort: Das Essen in den Kübeln stünde nur denen zu, die für das Essen bezahlen würden. Da ich nichts bezahlt hatte, sollte ich mir auch nichts von den Essensresten nehmen. Ich wunderte mich über diese Reaktion.

Die Mitglieder unserer gewerkschaftlichen Betriebsjugendgruppe machten sich einen Spaß daraus, das Verbot des „Großen Vorsitzenden“ zu umgehen. Sie wohnten bei ihren Familien und hatten alle das Mittagsmenü der Großküche fest „abonniert“. Sobald der erste Kollege aus unserer Jugendgruppe aufgegessen hatte, füllte er „Nachschlag“ in seine Aluschale. Damit kehrte er an unseren Tisch zurück. Nachdem er zum Schein noch einen Bissen gegessen hatte, war er „plötzlich“ satt. Die volle Aluschale reichte er dann an mich weiter.  

… und dessen Haus-Schwein

Der Betriebsratsvorsitzende hatte gute Gründe, mir das Essen, das in den Blechkübeln übrig geblieben war, nicht zu gönnen. Aber das erfuhr ich erst später. Er wohnte mit seiner Familie am Stadtrand von Oldenburg und besaß ein Schwein. Am Abend nahm er die Essensreste mit nach Hause, um sie an das Schwein zu verfüttern.

Der Lehrling sollte dem Schwein nicht das Essen wegfressen.