Wenn in Chile die Kochtöpfe klappern, sind die Tage der Regierenden gezählt. Das wissen nicht nur diejenigen, die jetzt in Chile auf die Töpfe schlagen, sondern erst recht jene, denen die Schläge gelten: General Augusto Pinochet und seine Minister.
Im Gegensatz zu Salvador Allende, der vor zehn Jahren ebenfalls dieses Protest-Instrument kennengelernt hatte, ist General Pinochet aus anderem Holz geschnitzt. Denn während Allende 1973 bis zum bitteren Ende für seinen chilenischen Weg zum Sozialismus warb, vertraute Pinochet von Anfang an nur der Macht des Militärs. Und das greift hart durch. An Chiles ’’Nationalen Protesttagen” darf auf das Volk geschossen werden. Noch sind die Toten zu zählen, doch schon die Zahl der Verwundeten und Verhafteten geht in die Hunderte. Trotzdem scheint es, dass sich die Chilenen durch keine Grausamkeit mehr abhalten lassen wollen, den Diktator und sein Regime in die Knie zu zwingen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft CTC, Rodolfo Seguel, ist zuversichtlich: „Die Chilenen haben die Angst besiegt”.
Diese Bilder aus Chile sind neu. Zwar gehörten Menschenrechtsverletzungen und Morde an politischen Gegnern schon immer zur Tagesordnung der sich an die Macht geputschten Generale. Doch es schien lange Zeit, als hätte sich die Mehrheit des chilenischen Volkes schon früh und dauerhaft mit den neuen Machthabern arrangiert. So trügerisch diese Annahme auch war, sprachen doch eine Reihe gewichtiger Gründe für sie: Tatsächlich befand sich Chile 1973 in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, die durch den Preisverfall des Kupfers mit verursacht war. Hinzu kamen finanzstarke ”Hilfsleistungen” aus den USA, um den Sturz der Regierung Allende vorzubereiten. So ist heute z.B. bekannt, dass der CIA 1973 über acht Mrd. Dollar für den Streik der chilenischen Fuhrunternehmer zur Verfügung gestellt hatte.
In dieser Situation brauchten die Militärs mit keinem großen Widerstand zu rechnen. Und wenn sich die allgemeine Stimmung ohnehin zu Ungunsten der Regierung Allende entwickelt hatte, so besorgten obendrein die politischen Parteien Chiles von ganz rechts über die Christdemokraten bis hin zu den Sozialdemokraten eilfertig Lorbeeren für die Gewaltherrscher: In ersten Stellungnahmen begrüßten sie ausdrücklich den Putsch der Generale, die ihnen diese Beifallsbekundungen allerdings nicht honorierten. Eine der ersten Verfügungen verbot den Parteien jegliche politische Arbeit. Vor diesem Hintergrund fiel es der Militärjunta leicht, sich als Vollstreckerin des allgemeinen Volkswillens darzustellen. Am 11. März 1974 verkündete man eine politische Grundsatzerklärung, in der staatsautoritäre und wirtschaftsliberale Forderungen in christlich-faschistischer Ideologie verpackt waren. Ein Programm für die Sache des Volkes?
Das sollte sich bald heraussteilen. Im April 1975 reiste der US-Bürger Milton Friedmann nach Santiago, um gemeinsam mit dem Christdemokraten Jorge Canas einWirtschaftsprogramm zu entwerfen. Friedmann gilt als der Guru der liberalen Monetaristen und hatte damals bereits seine Jünger im Lande: Wirtschaftswissenschaftler der Santiagoer ’’Universidad Católica”.
Wirtschaftsliberale haben selten originelle Rezepte: Die freie Marktwirtschaft sollte Chile das goldene Zeitalter bescheren. Und die Voraussetzungen hierfür wurden umgehend geschaffen. Nach der Reprivatisierung der unter Allende verstaatlichten Betriebe wurden nun selbst Krankenhäuser und Schulen privatisiert. Die Einfuhrzölle wurden von fast 100% auf 10 % gesenkt. Ausländisches Kapital floss nach Chile. Chile erlebt eine neue Geschäftigkeit. Bald ragten erste neugebaute Wolkenkratzer in den chilenischen Himmel. Bei jährlichen Steigerungsraten von 9 % und einem Luxuswarenangebot aus aller Welt interessierte nicht der Preis, den diese Politik verlangte.
Nach dem Abbau des Zollschutzes waren viele chilenische Unternehmen nicht mehr in der Lage, mit ausländischen Anbietern konkurrieren zu können. Die Billigimporte ruinierten Betriebe und vernichteten Arbeitsplätze. Auch in der Landwirtschaft waren die Folgen bald spürbar: Der zu Dumping-Preisen importierte US-Weizen sorgte für das große Bauernlegen (Einziehen von Bauernhöfen durch den Großgrundbesitz, d.R.). Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ging in den vergangenen zehn Jahren um beinahe die Hälfte zurück. Als eine erneute Weltrezession 1981 das chilenische Wirtschaftswunder, das mit 18 Mrd. Dollar Auslandsschulden finanziert worden war, wie ein Kartenhaus zusammenstürzen ließ, stand man kurz vor dem Bankrott. Um den zu vermeiden, intervenierte der Internationale Währungs-Fonds (IWF) bei den Gläubiger-Banken. Heraus kam ein weiterer Kredit über 1,3 Mrd. US-Dollar.
Inzwischen verschlimmert sich die wirtschaftliche Situation aufgrund der immer noch gültigen Leitlinien der Fried¬mann-Jünger weiter: Während im September 1973 die Arbeitslosigkeit bei rund 4,8 % lag, ist sie heute auf über 30 % hochgeschnellt. Dieser wirtschaftliche Bankrott offenbart nicht nur die Untauglichkeit des angewandten Rezeptes. Bereits in der Wirtschaftspolitik Chiles zeigt sich nämlich deutlich, was ohnehin die meisten Militärdiktaturen auszeichnet: Die Aufgabe der nationalen Souveränität zugunsten der Supermacht USA. Die Nationalisierungsbestrebungen Allendes wurden unter Pinochet wieder rückgängig gemacht. Der Versuch, einen chilenischen Weg zum Sozialismus zu finden, wurde von der Militärjunta beantwortet mit der Übernahme US-amerikanischer Wirtschaftstheorien.
Das Schlagen der Kochtöpfe geschieht heute aus sozialer Not. Vielleicht aber wird man eines Tages feststellen: ’’Mit Kochtöpfen begann der Kampf für ein chilenisches Chile!”
© Roland Wehl aus: Zeitschrift ‘wir selbst’, Ausgabe 3/1983