Im Jahr 1877 gründete der Schlossermeister Eduard Beyer die Eduard Beyer Glasformenfabrik in Oldenburg. Davor war er in der Oldenburgischen Glashütte (OGA) als Formenbauer beschäftigt gewesen. Beide Unternehmen waren südlich des Oldenburger Hafens, in Osternburg, ansässig – nur zwei Straßen voneinander entfernt. Die Glashütte verfügte am Hafen über einen eigenen Kai.
In der Eduard Beyer Glasformenfabrik wurde ich zum Industriekaufmann ausgebildet. Das verdankte ich dem Inhaber des Unternehmens, Frank Backmann. Er hatte die Fabrik von seinem Vater übernommen und bot mir den Ausbildungsplatz an, obwohl ich nicht einmal den Hauptschulabschluss besaß.

Eduard Beyer Glasformenfabrik
Als Frank Backmann das väterliche Erbe antrat, bewegte sich das Unternehmen in schwerem Fahrwasser. Die Preise für Glasformen waren unter Druck geraten, und die Abhängigkeit von der Glasindustrie war groß. Deshalb suchte Frank Backmann auch in der Kunststoffindustrie nach Auftraggebern. Das führte zur Umfirmierung. Die „Eduard Beyer Glasformenfabrik“ wurde in „Beyer Formenfabrik“ umbenannt. Dem Firmeninhaber merkte man die Probleme, die er zu bewältigen hatte, nur selten an. Frank Backmann war ein großzügiger Chef. Seine geistige Unabhängigkeit und seine persönliche Sparsamkeit beeindruckten mich. Es schien, als wollte er jede verdiente Mark gleich wieder investieren.

Von den rund 80 Beschäftigten waren die meisten als Facharbeiter in der Produktion tätig. Hier waren viele Berufsgruppen vertreten: Dreher, Schlosser, Werkzeugmacher und Ziseleure. In den vier kleinen Büroräumen saßen der Inhaber, der Betriebsleiter (Hans Eifler, verstorben), der Buchhalter und Prokurist (Heinz Borchardt, verstorben), zwei Sachbearbeiterinnen (Erika Paradies und Frau Neumann, beide verstorben), drei technische Zeichner und der kaufmännische Lehrling, also ich. Eine schlanke Verwaltung – und das noch ohne eigene IT. Nur die Löhne und Gehälter wurden bereits von einem externen Dienstleister elektronisch abgerechnet. Alle Betriebsangehörigen – mit Ausnahme der Büroangestellten – waren Mitglied in der Gewerkschaft. Auch ich trat kurz nach Beginn der Ausbildung der IG-Metall bei. Die Firma „Eduard Beyer Glasformenfabrik“ war ein gewerkschaftlicher „Musterbetrieb“.
Essen der Großküche
Den Beschäftigten stand für die Pausen ein großer Raum zur Verfügung, in dem der Betriebsrat auch die Betriebsversammlungen durchführen konnte. Hier nahmen die Arbeiter und die gewerblichen Lehrlinge ihre Mahlzeiten ein. Kein Angestellter verirrte sich dorthin. Deshalb wurde ich im Büro erstaunt angesehen, als ich mich mittags zum ersten Mal in den Pausenraum begab. Ich wollte die anderen Lehrlinge kennenlernen.
Einige Arbeiter der Glasformenfabrik brachten ihr Mittagessen in einem „Henkelmann“ von zu Hause mit. Doch die meisten Arbeiter nutzten das Angebot einer Großküche, die in Schalen aus Alufolie ein Mittagsmenü lieferte. Wer von den Portionen nicht satt wurde, konnte sich aus den mitgelieferten Blechkübeln Kartoffeln und Gemüse als „Nachschlag“ nehmen. Die Blechkübel waren am Ende der Mittagspause regelmäßig noch gut gefüllt.
Nachschlag in den Blechkübeln
Im Jahr 1975 mietete ich gemeinsam mit einem früheren Kollegen, mit dem ich zuvor im Hafen gearbeitet hatte, eine Wohnung. Dadurch wurde bei mir das Geld – trotz eines Mietkostenzuschusses vom Wohnungsamt – knapp. So kam ich auf die Idee, beim Mittagessen zu sparen und nur das zu essen, was am Ende der Pause in den Blechkübeln übrig geblieben war. Damit nahm ich niemandem etwas weg. Das dachte ich. Doch der Betriebsratsvorsitzende sah die Sache anders.
Der Betriebsratsvorsitzende …
Nachdem der Betriebsratsvorsitzende bemerkt hatte, dass ich mich am Ende der Pause aus den Blechkübeln bediente, sprach er ein Machtwort: Der Inhalt in den Kübeln stünde nur denen zu, die dafür bezahlt hätten. Ich dürfe mir nichts davon nehmen. Auch nicht am Ende der Pause.
Der Betriebsratsvorsitzende war ein freundlicher Mensch, der die Interessen seiner Kollegen gerne vertrat. Allerdings waren ihm die Aktivitäten unserer Betriebsjugendgruppe ein Dorn im Auge, obwohl wir alle derselben Gewerkschaft, nämlich der IG Metall, angehörten.
Meine Kollegen in der Betriebsjugendgruppe machten sich einen Spaß daraus, das Verbot zu umgehen. Sie lebten noch bei den Eltern und hatten das Essen der Großküche fest „abonniert“. Sobald einer von ihnen aufgegessen hatte, füllte er „Nachschlag“ in seine Aluschale und kehrte damit an den Tisch zurück. Zum Schein aß er noch einen oder zwei Bissen. Dann war er „plötzlich“ satt und reichte die gefüllte Schale an mich weiter, so dass ich den Rest essen konnte. Der Betriebsratsvorsitzende „kochte“.
… und dessen Haus-Schwein
Erst Jahre später erfuhr ich, warum mir der Betriebsratsvorsitzende die Essensreste nicht gegönnt hatte. Er lebte mit seiner Familie am Stadtrand und besaß ein Schwein. Die Blechkübel mit den Essensresten nahm er abends mit nach Hause, um damit das Schwein zu füttern.
Der Lehrling sollte dem Schwein nicht das Essen wegfressen.
