Hafenromantik

Als Jugendlicher träumte ich davon, zur See zu fahren. Das lag auch an den Liedern von Hans Albers („Nimm mich mit, Kapitän“), Lale Andersen („Blaue Nacht am Hafen“) und Freddy Quinn („Junge, komm bald wieder“), die ich schon als Kind gern gehört hatte – und die mich noch heute anrühren. Der UFA-Film „Große Freiheit Nr. 7” (mit Hans Albers) hatte meine Sehnsucht noch verstärkt.

Die romantische Vorstellung von der Seefahrt und allem, was damit zusammenhängt, trieb mich schon früh in meiner Heimatstadt Oldenburg zum Hafen und zu den Frachtschiffen, die dort angelegt hatten.

Oldenburgs alter Stadthafen

Der Oldenburger Hafen ist durch Küstenkanal, Dortmund-Ems-Kanal und Rhein-Herne-Kanal mit dem Rhein sowie durch Hunte und Weser mit der Nordsee verbunden. Deshalb laufen nicht nur Binnenschiffe, sondern auch Seeschiffe bzw. Kümos (Küstenmotorschiffe) den Oldenburger Hafen an. Die Oldenburger bezeichnen den alten, in der Stadtmitte gelegenen Hafen als „Stau“. So heißt auch die Straße, die das Gebiet des Stadthafens umschließt. Doch Waren und Güter werden hier schon lange nicht mehr „gestaut“.

Früher war der Oldenburger Stadthafen für mich ein Ort der Sehnsucht gewesen. Doch das ist lange her. Ende 1977, im Alter von 20 Jahren, zog ich fort. Heute ist von dem, was mich einst faszinierte, nichts mehr erhalten. Die Kräne und Lagerhäuser sind verschwunden. Bürogebäude mit glatten Fassaden und Restaurants bestimmen jetzt das Bild. Nur die Kaimauer, auf der ich früher saß oder stand, erinnert mich daran, wie es im Stadtafen zuging, als hier noch Frachtschiffe entladen wurden. In den 1980er Jahren mussten die Lager- und Umschlagbetriebe den Standort aufgeben. Damit ging auch das Milieu verloren, das sich bis dahin im Umfeld des alten Stadthafens entwickelt hatte.

Dieses Milieu lernte ich in meiner Jugendzeit durch die Tätigkeit im Hafen kennen. An die Menschen, denen ich dort in den Jahren 1973 bis 1977 begegnet bin, denke ich gerne zurück. Viele von ihnen hatten das Herz auf dem rechten Fleck.

Meine Zeit als Hafenarbeiter

Im April 1973 arbeitete ich erstmals in einem der Lager- und Umschlagbetriebe mit, die am alten Stadthafen ansässig waren. Es handelte sich um eine Niederlassung der „MIDGARD Deutsche Seeverkehrs-AG“, die bald danach als „RHENUS-MIDGARD“ firmierte. Deren Lagerhäuser befanden sich an der Hafenstraße und an der Güterstraße. Das Gebäude an der Hafenstr. 7-8 war zuvor im Besitz der Firma „Roelofs & Co. GmbH“ gewesen.

Zu dieser Zeit besuchte ich die neunte Klasse der Graf-Anton-Günther-Schule. Wenige Monate später musste ich die Schule verlassen. Ich hatte nicht einmal den Hauptschul-Abschluss erreicht. Aber das war mir egal. In der Welt, in der ich leben wollte, spielte das keine Rolle. Das glaubte ich jedenfalls. Mehr unter: Graf-Anton-Günther-Schule.

Bisher hatte ich die kleine Welt des Oldenburger Stadthafens nur oberflächlich kennengelernt. Nun lernte ich diese Welt etwas genauer kennen.

Papierlager

Anfangs wurde ich im Papierlager eingesetzt. Es befand sich in einer ehemaligen Scheune an der Güterstraße, Ecke Stau. Gleich daneben stand ein dreigeschössiger Neubau mit einer Backstein- bzw. Klinkerfassade. Es handelte sich um ein Bordell, das mit dem Begriff „EROS-CENTER“ um Kunden warb. Das Bordell war im Jahr zuvor – im Januar 1972 – eröffnet worden. Hier waren rund 20 Frauen tätig. Die meisten von ihnen hatten ihr Gewerbe vorher in anderen Städten ausgeübt. Das Bordell verfügte über einen „Kontakthof“, der von außen nicht einsehbar war, um die Geschäftsanbahnung mit den Freiern zu erleichtern.

Wer im Papierlager tätig war, hatte bald ein nachbarschaftliches Verhältnis zu den Frauen. Einer meiner Kollegen im Papierlager hieß Peter Staschen. Er war gelernter Tankwart. Wir hatten die Aufgabe, Papierrollen in LKWs zu verladen. Das Lager unterstand Hans R., einem ehemaligen Knacki, mit dem ich mich anfangs nicht verstand. Das änderte sich erst, nachdem ich zu den Lagerhäusern an der Hafenstraße versetzt worden war.

Stückgut

An unserem Kai an der Hafenstraße waren nur Schiffe mit Stückgut zu entladen. Dabei handelte es sich ausschließlich um Sackware mit Kunstdünger oder Getreidemehl. Im Herbst und Winter hatten wir hin und wieder auch Schiffe mit Baumstämmen zu beladen. Das Holz stammte aus den Wäldern des Oldenburger Umlandes und war für Skandinavien bestimmt.

Beim Verladen der Baumstämme war auf die Stabilität der Fracht zu achten, um das Schiff nicht zu gefährden. Bei schlechter Ladequalität war die Gefahr groß, dass das Schiff kentern oder die Fracht verlieren würde. Jeder Baumstamm wurde von zwei Männern mit Hilfe kleiner Spitzhacken in die richtige Position gezogen. Die Spitzhacke musste kräftig in das Holz eingeschlagen werden, damit sie beim Ziehen des Baumstammes nicht herausrutschte. Mir passierte das einige Male, so dass ich unsanft auf den Rücken fiel. Zum Glück ging ich dabei niemals über Bord.

Stundenlohn & Akkordlohn

Die jüngeren Hafenarbeiter, die bei „RHENUS-MIDGARD“ Umschlagarbeiten ausführten, waren in der Regel Tagelöhner. Der Zeitlohn betrug 5,27 DM brutto pro Stunde bzw. 42,16 DM brutto pro Tag (bei acht Arbeitsstunden zzgl. Pausen). Davon wurden rund 30 DM netto ausgezahlt. Das war schon damals wenig. Mehr verdienen konnte man nur, wenn nach Leistung (Akkord) entlohnt wurde. Das war der Fall, wenn Sackware mit Kunst- bzw. Mineraldünger oder mit Getreidemehl zu entladen war.

Bei der Sackware hatten wir es meistens mit Thomasmehl, einem Abfallprodukt der Eisen- und Stahlerzeugung, zu tun. Thomasmehl war in Papiersäcken zu 50 kg, Getreidemehl („Aurora“) in Papiersäcken zu je 60 kg verpackt. Unangenehm waren die Kunststoff-Säcke, die Harnstoff enthielten. Sie wogen 60 kg, waren aber wegen der Plastikhaut schwer zu greifen. Außerdem kamen die Hände ständig mit dem Harnstoff in Kontakt, weil die Säcke undicht waren. Dann brannte es auf der Haut. Handschuhe hätten nicht geholfen, weil man die Plastiksäcke dann kaum hätte greifen können.

Im Akkordlohn konnte man mehr als das Doppelte des Stundenlohns verdienen. Deshalb freute ich mich, als mich unser Vorarbeiter, Heinz Schönnagel, eines Morgens einer Akkord-Kolonne zuwies. Die Fracht eines Binnenschiffes, das 200 t Thomasmehl (4.000 Säcke zu je 50 kg) geladen hatte, sollte an diesem Tag in acht Güter-Waggons zu je 25 t umgeladen werden. Jeder Waggon musste mit 500 Säcken beladen werden, doch die Akkord-Kolonne war nicht vollzählig. Ein Kollege war nicht erschienen. Ich sollte ihn ersetzen.

Nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz hätte ich in der Akkord-Kolonne nicht mitarbeiten dürfen, da ich erst 16 Jahre alt war. Doch das spielte keine Rolle.

Mein Platz in der Kolonne

Unsere Akkord-Kolonne bestand aus fünf Männern: zwei im Schiff, zwei auf der Rampe am Waggon und einer, der im Waggon die Sackkarre fuhr. Die beiden Männer im Schiff waren „Einzelkämpfer“. Bei 4.000 Säcken pro Tag hatte jeder der beiden 2.000 Säcke allein zu tragen. Die Männer stapelten jeweils acht, neun und acht Säcke, also insgesamt 25 Säcke, zu einem „Hiev“, der vom Kran auf die Rampe des Waggons befördert wurde. Die beiden Männer auf der Rampe luden jeden Sack zu zweit auf eine Karre, die vom fünften Mann gefahren wurde. Die Karre musste so geschickt abgekippt werden, dass in jedem Waggon 20 Hievs, also 500 Säcke, Platz fanden. Das sah einfacher aus als es war. Die Karre wurde in der Regel von Willy, einem älteren Kollegen, gefahren. Mein Platz war auf der „Rampe“.

Gemeinsam mit einem Kollegen packte ich die Säcke auf die Sackkarre. Nach fast 1.500 Säcken machte ich „schlapp“: Wir hatten für den dritten Waggon gerade den letzten Hiev angenommen, als mir schwindelig wurde, so dass ich das Gleichgewicht verlor. Ich stürzte von der Rampe des Waggons auf die Erde. Kurz danach reichte mir der Vorarbeiter, Heinz Schönnagel, eine Zigarette: eine »Reval« ohne Filter. Das empfand ich als Ritterschlag. Ich udurfte bleiben. An diesem Tag dauerte es länger als sonst, bis die 4.000 Säcke verladen waren.

Am nächsten Tag wurde ich von den Kollegen „getauft“. Ohne Vorwarnung packten sie mich an Händen und Füßen, um mich bekleidet ins Hafenbecken zu werfen. Als ich triefend nass wieder vor ihnen stand, konnten sie sich vor Lachen kaum halten. Erst jetzt gehörte ich wirklich „dazu“ – obwohl ich nur der „Ersatzmann“ war.

Exkurs: Thomasmehl

Im Schiff, auf der Rampe und im Waggon waren die Arbeiter durchgehend dem Staub des Thomasmehls ausgesetzt. Umso wichtiger wäre es gewesen, eine Schutzmaske zu tragen, denn Thomasmehl ist mit Schwermetallen, vor allem Chrom, belastet. Für den Einsatz von Thomasmehl galten schon damals strenge Schutzvorschriften. Doch sie spielten praktisch keine Rolle. Eine Schutzmaske hätte das Atmen erschwert, so dass die gewünschte Arbeitsleistung kaum möglich gewesen wäre.

Meine Kollegen packen Säcke mit Thomasmehl zu einem Hiev. Links einer der Oltmann-Brüder, rechts „Fuzzi“ Becker. Bild: P. Kreier, 1974

Wie gefährlich Thomasmehl sein kann, erfuhren wir am Beispiel unseres Kollegen „Fuzzi“ Becker (rechts im Bild). Er drohte eines Tages im Schiffsraum zu ersticken. Sein Hals war derart stark angeschwollen, dass er kaum noch atmen konnte. Der Arzt musste zum Messer greifen. Angeblich hatte der schlechte Zustand seiner Zähne zusammen mit dem Thomasmehl die Schwellung verursacht. Dem Kollegen Fuzzi wurden alle Zähne gezogen. Danach sah Fuzzi wie sein eigener Großvater aus. Das lag an dem eingefallenen Mund. Fuzzi hatte einigen Spott zu ertragen (Bild P. Kreier).

Schlafen im Lagerschuppen

Der Akkordlohn war schwer verdientes Geld. Umso unbegreiflicher war es, wie einige Hafenarbeiter mit dem Geld umgingen, das ihnen jeden Abend ausgezahlt wurde. Manche von ihnen waren schon am nächsten Morgen „blank“. Wer nachts den Weg nicht nach Hause fand oder wegen Mietschulden kein Zuhause (oft nur ein möbliertes Zimmer) mehr hatte, suchte sich seinen Schlafplatz in dem Lagerschuppen, der uns als Aufenthaltsraum zur Verfügung stand. Pappen dienten als Matratze. Eine Zeitlang gehörte auch ich zu den Schlafgästen – wenn auch aus anderen Gründen.

Die begehrtesten Schlafplätze befanden sich im hinteren, unbeleuchteten Teil des Schuppens. Im Raum davor lagen diejenigen, die weniger privilegiert waren. Ich war einer von ihnen. Mein Schlafplatz lag neben der Tür, so dass ich regelmäßig von den „Spätheimkehrern“ im Schlaf gestört wurde. Entsprechend groß war die Müdigkeit, die ich tagsüber empfand.

Badeanstalt an der Huntestraße

Roland Wehl
Alte Städtische Badeanstalt

Den Arbeitern standen im Hafen nur Waschbecken zur Verfügung. Wer sich nicht zu Hause baden oder duschen konnte, suchte am Samstag die alte Städtische Badeanstalt an der Huntestraße auf. Dort gab es Kabinen mit Badewannen. Damals verfügten noch längst nicht alle Wohnungen in Oldenburg über ein Badezimmer. Die Badeanstalt verfügte auch über ein kleines Hallenbad. Darin hatte ich als Kind Schwimmen gelernt. In der Zeit, in der ich die Graf-Anton-Günther-Schule besuchte, fand hier im Winter der Sport- bzw. Schwimmunterricht statt.

Wie schnell man sich an Dreck und Gestank gewöhnen kann, erfuhr ich bei meinem kurzzeitigen Einsatz in einem anderen Umschlagbetrieb, der weiter östlich gelegen war. Dorthin war ich gewechselt, als es bei „RHENUS-MIDGARD“ nichts zu tun gab. In dem neuen Betrieb hatte ich die Aufgabe, Papiersäcke mit Fischmehl zu füllen. Die Papiersäcke band ich an einen Trichter, aus dem das Fischmehl herauslief. Es ging viel Fischmehl „daneben“, so dass ich kniehoch in der stinkenden Masse stand. An einem Abend, an dem ich mit einer jungen Frau verabredet war, sprühte ich mich kräftig mit einem Deodorant ein. Ich wollte den Geruch des Fischmehls überdecken. Aber das war ein Fehler. Die Kombination von Fischmehl und Parfüm war für „normale Nasen“ unerträglich. Aber das empfand ich nicht so. Meine Nase war an Gestank gewöhnt.

Meine Kollegen im Hafen

Meine Kollegen waren alle älter als ich: Peter Staschen, der immer einen Witz auf der Zunge hatte, August Hechler, der vorher als Maurer tätig war und ebenso wie ich für Hans Albers schwärmte, Hans R., der zeitweise das Papierlager leitete, Klaus Schumann, der aus der DDR geflohen war, der zahnlose „Fuzzi“ Becker, mein Mitbewohner Rolf O., der später wegen „kaltblütigen Mordes“ verurteilt wurde, sowie Erich Salatzkat, Ronny, Willi, die Oltmann-Brüder und viele andere, deren Namen ich vergessen habe.

Die Oltmann-Brüder waren „Arbeitsmaschinen“. Einige von ihnen wohnten in Wardenburg, andere in einem der Dörfer, deren Namen mit „-fehn“ enden (Merkmal für Siedlungen im Moor, die einst entwässert worden waren). Die Oltmann-Brüder erschienen nur an Tagen, an denen Schiffe im Akkord zu entladen waren. Der Stundenlohn kam für sie nicht in Frage. Da gingen sie lieber ins Moor, um Torf zu stechen.

Wer bei RHENUS-MIDGARD lange beschäftigt war, konnte vom „Tagelöhner“ zum „Wochenlöhner“ aufsteigen. Für diese war Freitags der Zahltag. Einer dieser „Wochenlöhner“ war der verstorbene Erich Salatzkat. Er wohnte mit seiner Familie im ersten Stock eines Geschäftshauses am Markt 2, gegenüber dem Rathaus. Manchmal lud er mich zu sich nach Hause zum Abendbrot ein. Ich erinnere mich an seine Ehefrau, an mehrere Kinder und an einen Schwiegersohn, der später einen Arbeitsunfall erlitt und eine hohe Entschädigung erhielt, die zum Erwerb eines Hauses genutzt wurde. Ein anderer Wochenlöhner, an den ich mich lebhaft erinnere, war der ebenfalls verstorbene Karl. Er hatte ein Glasauge und verwaltete das „Giftlager“, das sich im Kellergewölbe eines Speichergebäudes befand. Karl besaß ein Pony und eine kleine Kutsche, in die er sich nach heftigem Alkoholgenuss fallen ließ. Das Pony brachte den Besitzer selbständig nach Hause.

Im Hafen waren auch viele Menschen tätig, deren Leben aus unterschiedlichen Gründen nicht gerade verlaufen war. Das zeigen beispielhaft die Lebensläufe der vier Männer, die ich nachfolgend beschreibe. Die Männer sind alle längst verstorben.

Der barmherzige „Hannes“

Im Lagerschuppen und auf dem Hafengelände sorgte Johannes Retzkowski, genannt „Hannes“, mit seinem Besen für Ordnung. Er war Rentner und verdiente sich als Kalfaktor bei „RHENUS-MIDGARD“ mit kleinen Hilfsarbeiten ein Zubrot. „Hannes“ war von Beruf Eisenbieger bzw. Eisenflechter gewesen.

Johannes Retzkowski bzw. „Hannes“ wurde 1909 geboren und starb im Jahr 1995, wenige Tage vor seinem 86. Geburtstag. Von den zwölf Jahren des sogenannten „Dritten Reichs“ hatte er sechs Jahre in Gefangenschaft verbracht. Er saß von Juni 1937 bis Juni 1938 in Vechta im Gefängnis und wurde von dort in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Erst im Sommer 1943 wurde Johannes Retzkowski aus dem KZ entlassen.

Über die Gründe, die zu seiner Inhaftierung bzw. zu der Einweisung in das KZ geführt hatten, sprach Johannes Retzkowski nicht mit uns. Nach den Regeln des NS-System galt er als „arbeitsscheu“ bzw. „asozial“. So steht es auf der Karteikarte, die im KZ Buchenwald angelegt wurde. „Hannes“ musste deshalb auf der Kleidung den schwarzen Winkel tragen. Für die Kollegen war er das Gegenteil: fleißig und eine Seele von Mensch. „Hannes“ wirkte zwar skurril, nahm aber alle für sich ein, denn er hatte ein großes Herz.

Ich erinnere mich, dass „Hannes“ in einer Batterie von Eimern tagelang Schmutzwäsche für sich und die Kollegen einweichte. Das Waschergebnis war verblüffend gut. Hin und wieder kochte „Hannes“ auch für uns. Er bewohnte anfangs einen Schuppen auf dem Hafengelände. Später verfügte er über Wohnräume im Helmsweg und später in der Nelkenstraße in Häusern, die sich in keinem guten Zustand befanden. Dort nahm der barmherzige „Hannes“ immer wieder Personen auf, die bedürftig waren.

Am Neujahrsmorgen 1974 servierte uns „Hannes“ im hinteren Teil der Scheune, in der sich das Papierlager befand, eine Suppe, die er aus Hasenpfoten gekocht hatte. Wir hatten hier die Silvester-Nacht zugebracht, nachdem wir eine kirchliche Veranstaltung besucht und uns dort kostenlos sattgegessen hatten. Die Männer hatten sich erst geziert, dann aber von mir überreden lassen. Allen war das Geld ausgegangen, weil aufgrund des Winterwetters keine Schiffe im Hafen lagen. Es war klirrend kalt. Der Ofen, der sich in dem Raum befand, wurde von uns mit Holz befeuert. „Hannes“ war nicht mitgekommen, als wir die kirchliche Veranstaltung besuchten. Er hatte begonnen, die Suppe zu kochen. Zuvor hatte er eine Flasche Schnaps aufgetrieben und sie während des Kochens und in der Nacht – während wir schliefen – geleert. Es lag wohl am Schnaps, dass im Topf alles gelandet war, was „Hannes“ unter die Hände gekommen war. Sogar ein Fetzen Stoff schwamm darin. Einer der Männer hatte den Fetzen plötzlich im Mund. Das minderte aber nicht unseren Appetit.

Kollege Hans R.

Hans R. (verstorben) war Anfang 1973 Chef des Papierlagers bei „RHENUS-MIDGARD“. Er war von Beruf Bergmann und zu der Zeit, als ich ihm unterstand, 29 Jahre alt. Hans R. hatte eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt und war danach nicht in den erlernten Beruf zurückgekehrt. Stattdessen war er zunächst eine Zeitlang mit einer Schaustellerfamilie von Jahrmarkt zu Jahrmarkt gereist. Im Jahr 1971 war Hans R. als Tagelöhner zu „RHENUS-MIDGARD“ gewechselt und schon bald in der betrieblichen Hierarchie aufgestiegen. Ihm wurde erst die Leitung des Seifenlagers und später auch die Leitung des Papierlagers anvertraut. Da ich in den ersten Tagen im Papierlager eingesetzt wurde, war er in dem Hafenbetrieb mein erster Vorgesetzter.

Hans R. (links) und ich 1977 in Oldenburg

Hans R. erledigte die Arbeit zur vollen Zufriedenheit der Geschäftsleitung. Im Herbst 1973 verlobte sich Hans R. mit Heike N. aus Rastede. Er wollte sich eine „bürgerliche Existenz“ aufbauen. Doch die Beziehung zu Heike N. ging nach wenigen Monaten in die Brüche. Und der Arbeitgeber entband ihn von der Funktion als Lagerverwalter. Lag das daran, dass sich das Verhalten von Hans R. nach der „Entlobung“ geändert hatte? Oder daran, dass der Arbeitgeber erst jetzt von der Vorstrafe erfahren hatte? Der Traum von der „bürgerlichen Existenz“ war jedenfalls geplatzt. Danach verübte Hans R. etliche Einbrüche, u.a. auch bei seinem bisherigen Arbeitgeber, der Firma „RHENUS-MIDGARD“. Das führte die Polizei auf seine Spur.

Aufgrund der Einbrüche wurde Hans R. zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die er in der JVA Hannover absaß. Als nach einigen Monaten erstmals für ihn die Möglichkeit eines mehrstündigen Hafturlaubs bestand, nahm er Kontakt mit mir auf. Hans R. benötige für den Hafturlaub eine „Bezugsperson“ und fragte mich, ob ich dafür zur Verfügung stünde. Ich willigte ein. Per Anhalter fuhr ich nach Hannover. Nach einem Gespräch mit dem Sozialarbeiter der Anstalt konnte ich Hans R. in Empfang nehmen. Ich verpflichtete mich, den Gefangenen abzuholen, zu begleiten und am Abend zurückzubringen. Gemeinsam zogen wir um die Häuser. Hans R. nutzte die Kontakte, die er im Gefängnis geknüpft hatte, für Besuche rund um den Steinplatz. Auf den Haft-Ausgang folgte ein Hafturlaub für ein Wochenende. Anfang der 1980er Jahre – ich lebte inzwischen in Berlin – verloren wir uns aus den Augen.

Kollege Rolf O.

Auch Rolf O. ist inzwischen verstorben. Er war von Beruf Maurer und 16 Jahre älter als ich. Ich lernte Rolf O. bei „RHENUS-MIDGARD“ einige Monate vor Beginn meiner Berufsausbildung kennen. Rolf O. war Witwer und Vater von zwei Kindern, die jedoch getrennt von ihm in einem Kinderheim lebten. Nachdem ich 18 Jahre alt geworden war, zogen Rolf O. und ich gemeinsam in eine Wohnung in der Schulstraße 9 im Stadtteil Osternburg. Die Wohnung lag im Erdgeschoss. Ohne Badezimmer bzw. Dusche. Waschen konnte man sich nur in der Küche.

Rolf O. auf dem Kramermarkt 1974

Als Mitbewohner erlebte ich Rolf O. von einer Seite, die ich bei ihm als Kollegen vorher nicht bemerkt hatte. Rolf O. trank mehr, als ihm gut tat. Außerdem erzählte er mir jeden Morgen die gleiche Geschichte seiner verstorbenen Ehefrau und seiner beiden Kinder, die ihm aufgrund seiner Alkoholsucht vom Jugendamt weggenommen worden waren. Rolf O. schien unter diesem Verlust sehr zu leiden.

Unsere Wohngemeinschaft endete, nachdem Rolf O. mir einen Bankscheck gestohlen, meine Unterschrift gefälscht und mein Konto geleert hatte. Daraufhin schloss ich ihn aus der Wohnung aus. Ein paar Tage später sah mein Vermieter, dass Rolf O. in der Dunkelheit vor dem Haus stand und mich durch ein Fenster beobachtete. In der Nacht hörte ich Geräusche. Rolf O. wollte das Fenster zu dem Zimmer, das er bewohnt hatte, aufbrechen. Da Rolf O. zu viel getrunken hatte, geschah sein Einbruchsversuch nicht geräuschlos. Ich wachte auf und konnte Rolf O. vertreiben.

Knapp ein Jahr später hatte Rolf O. woanders mehr Erfolg. Anfang 1977 berichtete die Oldenburger Nordwest-Zeitung (NWZ), dass Rolf O. gestanden hatte, einen Rentner mit den Händen gewürgt, danach mit dem Gürtel erdrosselt und anschließend ausgeraubt zu haben. Ihm wurden auch zahlreiche Einbrüche nachgewiesen. Er kam in Oldenburg in Untersuchungshaft.

Als ich einige Wochen später die Haftanstalt aufsuchte, um einen Gefangenen zu besuchen, begegnete ich Rolf O. zum letzten Mal. Ich saß allein im Besucherraum, als plötzlich die Tür aufging und Rolf O. ohne Begleitung eines Aufsehers mit einem Besen herein spazierte. Ich rechnete sofort mit einem Angriff. Doch Rolf O. fegte nur den Fußboden. Keiner von uns beiden sprach ein Wort.

Rolf O. wurde Ende 1977 verurteilt. Das Gericht sprach von „kaltblütigem“ Mord, verurteilte ihn jedoch nicht zu lebenslangem, sondern zu 15-jährigem Freiheitsentzug. Man ging davon aus, dass Rolf O. zur Tatzeit unter Alkoholeinfluss gestanden hatte. In nüchternem Zustand hatte ich Rolf O. als braven Kerl erlebt. War er nur deshalb zum Trinker geworden, weil er seine Ehefrau verloren hatte? War das die Erklärung, warum er schließlich sogar getötet hatte? 

Kollege Klaus S.

Klaus S. (verstorben) war aus der DDR geflohen und hatte sich dort angeblich als Boxer einen Namen gemacht. Klaus S. war mit Rita (ebenfalls verstorben) verheiratet. Rita war als Prostituierte tätig, wurde von manchen Männern aber verächtlich als „alte Fregatte“ bezeichnet. Sie war 1973 erst Mitte 40, sah aber aufgrund der fehlenden Zähne deutlich älter aus: nicht nur verlebt, sondern verbraucht. Doch auch Rita hatte ihr Herz oft am rechten Fleck.

Oldenburger Nordwest-Zeitung (NWZ) vom 11.05.1973

Klaus S. war im Mai 1973 wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hatte sich monatelang durch das Oldenburger Rotlicht-Milieu geprügelt. Der Polizei war es erst spät gelungen, ihn zu verhaften. Ihr Einsatz im Jahr 1972 soll unter den damaligen Kollegen am Hafen große Heiterkeit ausgelöst haben. So wurde es mir erzählt.

An einem Tag, an dem wieder einmal „Thomasmehl“ entladen wurde, seien zwei Polizisten erschienen, um Klaus S. zu verhaften. Einen Arbeiter, der gerade aus dem Frachtraum des Schiffes gestiegen war, hätten sie gefragt, wo sie Klaus S. finden könnten. Das Gesicht des Arbeiters sei durch das Thomasmehl geschwärzt gewesen. Deshalb hätten die Polizisten nicht gemerkt, dass es Klaus S. war, der vor ihnen stand. Er hätte die Polizisten zu den weit entfernt liegenden Lagerhäusern geschickt. Während die Polizisten in die angegebene Richtung gelaufen seien, habe sich Klaus S. in der entgegengesetzten Richtung aus dem Staub gemacht. Erst Wochen später sei er gefasst worden.

Bei der Urteilsverkündung blieb ihm die zunächst angedrohte Sicherheitsverwahrung erspart. Kein „Aus für Klaus“. Im Gegenteil: Klaus S. wurde bereits Ende 1974 wieder aus dem Gefängnis entlassen. Doch mit der Freiheit kam er nicht zurecht. Er prügelte sich erneut durch das Rotlicht-Milieu und vergriff sich auch an Frauen, die dort tätig waren. Im Jahr 1976 fuhr Klaus S. erneut „ein“. Diesmal für sehr lange Zeit.

Exkurs: Dina N. und die Sucht

Der „Schläger“ Klaus S. besaß auch eine fürsorgliche Seite. Eines Tages fragte er mich, ob ich einer Frau, die gerade eine kaufmännische Umschulung begonnen hatte, behilflich sein könne. Die Frau hieß Dina N. und war eine attraktive Erscheinung. Das lag auch an ihrer eleganten Garderobe. Wenn ich mit Dina N. durch die Fußgängerzone in Oldenburg flanierte, zog sie die Blicke auf sich.

Als ich Dina N. das erste Mal besuchte, sollte es um Buchungssätze gehen. Allerdings stand ich selbst noch am Anfang meiner Ausbildung und besaß erst geringe kaufmännische Kenntnisse (siehe Exkurs: „Kaufmann statt Seemann“). Aber das spielte keine Rolle, denn Dina N. hatte ein viel größeres Problem: ihre Alkoholsucht. Dina N. war verheiratet gewesen, doch die Ehe war nach einem Jahr zerbrochen. War das eine Folge ihrer Alkoholsucht gewesen, oder war die Sucht entstanden, weil die Ehe zerbrochen war?

Die Hilfe, die Dina N. damals benötigt hätte, fand sie bei mir nicht. Als sie eines Tages nicht die Tür öffnete, rief ich die Polizei. Dina N. wurde bewusstlos aufgefunden. Sie hatte versucht, mit der Einnahme von Schlaftabletten ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die ärzliche Hilfe kam zu spät. Einen Tag nach der Einlieferung ins Krankenhaus starb Dina N. Sie wurde nur 31 Jahre alt.

Vorarbeiter Heinz Schönnagel

Unser Vorarbeiter bei „RHENUS-MIDGARD“, Heinz Schönnagel (verstorben), war nicht nur mein Vorgesetzter, sondern auch ein „väterlicher Freund“ gewesen. Seine Autorität wurde von allen Arbeitskollegen anerkannt, denn sie wussten, dass sie sich auf ihn verlassen konnten. Er hatte sich immer wieder für ihre Interessen eingesetzt. Allerdings wurde ihm das nicht immer gedankt. Mir erschien er wie eine Mischung aus John Wayne und Gary Cooper („12 Uhr Mittags“), zumal er dem Letztgenannten auch äußerlich ähnelte.

Heinz Schönnagel hielt oft seine Hand schützend über mich – trotz genügend eigener Sorgen: Nachdem sein einziges Kind tödlich verunglückt war, verlor er durch eine Krankheit auch früh seine Ehefrau. Er verbrachte die letzten Arbeitsjahre an der Lkw-Waage des Hafenbetriebs „RHEIN-UMSCHLAG“. Er war ein ungewöhnlicher Vorgesetzter und guter Kamerad. Wenige Tage nach Beginn meiner beruflichen Ausbildung, im September 1974 (siehe Exkurs: „Kaufmann statt Seemann“), überschritt sein Wohlwollen sogar die Grenze des Erlaubten.

Ich hatte das Hafengelände aufgesucht, um die früheren Kollegen zu treffen. Als Heinz Schönnagel mich sah, verpasste er mir lautstark einen „Anschiss“: Wo ich die letzten Tage gesteckt hätte, und warum ich den Lohn nicht abholen würde? Die Leute im Kontor würden schon fragen!

Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was Heinz Schönnagel meinte: Er hatte mich eine Woche lang jeden Morgen als Tagelöhner gemeldet, obwohl ich nicht anwesend gewesen war. Heinz Schönnagel wusste, dass ich mich in der Ausbildung befand und deshalb nicht im Hafen arbeiten konnte. Wenn er mich dennoch morgens als Arbeiter gemeldet hatte, war das Betrug. Das war für ihn nicht ungefährlich.

„Ab ins Kontor“, befahl er mit donnernder Stimme. Dort wurde mir der Lohn, den ich nicht verdient hatte, tatsächlich ausgezahlt. Wohl fühlte ich mich dabei nicht. Warum hatte Heinz Schönnagel das getan? Ich habe nie gewagt, ihn zu fragen. Heinz Schönnagel starb 1992. Er wurde nur 67 Jahre alt.

Exkurs: Kaufmann statt Seemann

Mein Wunsch, zur See zu fahren, rückte in greifbare Nähe, als ich 1973 die Schule nach der neunten Klasse verließ. Ich hätte als Deckshelfer auf einem Frachter anheuern können. Das erforderliche Seefahrtbuch beantragte ich ohne Wissen meiner Eltern. Da ich minderjährig war, lehnte die Heuerstelle Brake den Antrag ab. Ich begrub den Wunsch, zur See zu fahren.

Einige Monate später wollte ich Journalist werden. Ein Mann, der selbst Journalist war und für die Nachrichten-Agentur REUTERS in London arbeitete, hatte mir dazu geraten. Den Kontakt verdankte ich meinen politischen Aktivitäten. Der Journalist sah nicht den Seemann, sondern den künftigen Kollegen in mir. Bei der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“ (NWZ) bewarb ich mich für ein Volontariat, doch ich wurde abgelehnt (Bild).

Der Chefredakteur der NWZ, Bodo Schulte, hielt mich für zu jung und unerfahren. Das schrieb er mir. Er riet mir, zunächst eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren (Bild). Diesen Rat befolgte ich. Die Eduard Beyer Glasformenfabrik bot mir trotz des fehlenden Schul-Abschlusses an, mich zum Kaufmann auszubilden.

Der junge Firmeninhaber, Frank Backmann, war kein „Pfeffersack“, sondern ein Chef, der mit mir hin und wieder über Gott und die Welt sprach. Er war neuen Themen gegenüber aufgeschlossen und besaß die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Vielleicht verdankte er das der Waldorf-Schule, die er besucht hatte. An ihn denke ich ebenso respektvoll zurück wie an meinen Berufsschullehrer, Hermann de Millas, für den der Beruf ganz offensichtlich eine Berufung gewesen war. Hermann de Millas war ein „Menschenfänger“. An meinem 50. Geburtstag sahen wir uns wieder.

Mit Abschluss der dreijährigen Ausbildung im Jahr 1977 waren die beruflichen Weichen für mich gestellt. Ich war jetzt Kaufmann – und bin es geblieben. Fünf Jahre später gründete ich in Berlin ein eigenes Unternehmen.

Meine Sehnsucht nach allem, was mit der Welt der Häfen zu tun hatte, blieb bestehen. Auch in der Zeit der Berufsausbildung hielt ich mich regelmäßig im Stadthafen und dessen Umfeld auf. Hier traf ich die Kollegen von „RHENUS-MIDGARD“ und andere Personen, mit denen ich vertraut war. Und wenn ausnahmsweise an einem Samstag ein Schiff zu entladen und Not am Mann war, half ich weiterhin als „Ersatzmann“ aus.

Lokal „HOLSTEN-ECK“

Die Tätigkeit im Hafen führte mich 1973 in das Lokal „HOLSTEN-ECK“. Es befand sich im „Kaiserhaus“ am Stau, Ecke Kaiserstraße. Dort kam ich in Kontakt mit den Männern, deren Frauen am Stau und in den umliegenden Straßen tätig waren. Hin und wieder kamen die Frauen in das Lokal, hielten sich hier aber nur kurz auf. Meine Arbeitskollegen und ich gehörten zu den Stammgästen des Lokals. Die Inhaber waren Franz Scharmann (1926 – 1993) und sein Sohn Kurt Scharmann (1947 – 2011). Vater und Sohn sorgten dafür, dass alles mit rechten Dingen zuging. Es herrschte eine familiäre Atmosphäre, weil sich viele Gäste kannten.

Im „HOLSTEN-ECK“ war auch die 28-jährige Ingrid S. tätig. Sie war bildschön und beeindruckte mich mit ihrem Charme. Aufgrund der dunklen Haare und der schwarzen Haare Brille, die sie trug, ähnelte Ingrid S. der damaligen Sängerin Nana Mouskouri. Ende der 1970er Jahre beendete Ingrid S. ihre Tätigkeit im „HOLSTEN-ECK“. Sie gründete einen Kurierdienst.

Ingrid S. war eine tapfere Frau, die viel erlebt und sich nie geschont hatte. Das erklärt vielleicht, warum ihr erster Ehemann eifersüchtig über sie wachte. Ingrid S. hielt das irgendwann nicht mehr aus. Mit einem anderen Mann an ihrer Seite fand sie das Glück, das sie zuvor vermisst hatte. Doch dieses Glück währte nicht lange. Ingrid S. war bereits Witwe, als sie schwer erkrankte und die bisherige Wohnung aufgeben musste. Sie erhielt einen Platz in einem Oldenburger Pflegeheim. Dort besuchte ich sie am 20.09.2023 (Bild).

Als sich der Gesundheitszustand von Ingrid S. weiter verschlechterte, wurde sie in das Klinikum der Stadt Oldenburg eingeliefert und schon bald auf die Palliativstation verlegt. Am 24.05.2024 sahen wir uns wieder. Es sollte unsere letzte Begegnung sein. In der darauf folgenden Woche starb Ingrid S. im Alter von 79 Jahren. Ihre Kinder erfüllten den Wunsch der Mutter und ließen Ingrid S. anonym bestatten.

Boxer Hans Weber

Im „HOLSTEN-ECK“ verkehrte kurzzeitig auch Hans Weber („Hansi“ Weber). Wir lernten uns kennen, als er 1973 ebenfalls bei „RHENUS-MIDGARD“ im Hafenumschlag tätig war. Hans Weber war drei Jahre älter als ich und erfolgreicher Amateur-Boxer (Halbweltergewicht, dann Weltergewicht). In den Jahren 1972, 1975 und 1976 war er Bezirksmeister. Diese sportliche Leistung hatte ihm anfangs kaum jemand zugetraut, denn Hans Weber war seit seinem zehnten Lebensjahr körperlich behindert. Das war die Folge eines Unfalls, den er als Kind 1963 auf der Oldenburger Amalienbrücke erlitten hatte. Es handelte sich um eine – inzwischen abgebaute – Hubbrücke, die den Küstenkanal überquerte. Der neunjährige Hansi Weber hielt sich unerlaubt auf der Hubbrücke auf, als sie für den Schiffsverkehr hochgefahren wurde. Das musste er teuer bezahlen: Sein rechter Arm wurde zerquetscht.

Die Ärzte konnten Hans Webers rechten Arm zwar retten, doch von dem Oberarm blieb nur eine dünne Stange ohne Muskelfleisch übrig. Wer nicht wusste, dass Hans Weber – wie alle guten Boxer – seine Schlagkraft vor allem aus der Hüfte bezog, konnte aus dem Zustand des rechten Oberarms leicht die falschen Schlüsse ziehen. So wie der Muskelprotz, der in einer Oldenburger Badeanstalt einmal auf Hans Weber traf. Er beschimpfte Hans Weber als „Krüppel“, der an diesem Ort nichts zu suchen habe. Daraufhin bekam der Muskelprotz die „Rechte“ des angeblichen „Krüppels“ zu spüren. Hans Weber war Linksausleger, doch seine „Rechte“ konnte ebenfalls zur Waffe werden. Auch ohne Muskeln im Oberarm.

Trainer Lothar Wagner

Eines Tages – im Sommer 1973 – nahm mich Hans Weber zum Box-Training im Oldenburger Polizei-Sport-Verein (PSV) mit. Ich war überrascht, dass von den Männern, die dort trainierten, niemand Polizist war. Unser Trainer war der 30-jährige Lothar Wagner. Er stand als Amateur-Boxer selbst noch im Ring (Weltergewicht, dann Halbmittelgewicht) und wurde Bezirksmeister in den Jahren 1975 und 1976. Lothar Wagner starb im März 2025.

Lothar Wagners Bruder Peter boxte ebenfalls (Schwergewicht und Superschwergewicht), war allerdings erfolgreicher als Lothar. Peter Wagner war im Boxring kein „Schläger“, sondern ein „Techniker“. Er wurde 1965 Bezirks- und Verbandsmeister, 1966 Bezirks-, Verbands- und Niedersachsenmeister und Dritter Deutscher Meister, 1976 Bezirksmeister sowie 1977 Bezirks- und Niedersachsenmeister. Das ist lange her. Heute setzt Peter Wagner weniger die Fäuste, sondern mehr seine Stimme ein. Er ist Mitglied des Oldenburger Seemanns-Chores und erfreut mit seinen Gesangskameraden (inzwischen gehören dem Seemanns-Chor auch einige Frauen an) viele Menschen weit über Oldenburg hinaus.

Peter Wagner ist eine starke Persönlichkeit mit klarem Werte-Kompass. Ein Mann mit ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein, der als Trainer niemals zuließ, dass junge Boxer „verheizt“ wurden. Peter Wagner ist geradlinig und von einem Sportsgeist erfüllt, der ihm zur Ehre gereicht. Seine Haltung sollte nicht nur den jüngeren Boxern ein Vorbild sein. Die Entwicklung des deutschen Amateur-Boxsports betrachtet Peter Wagner mit Sorge (Bild: Peter Wagner mit mir im Frühjahr 2025).

Zurück in das Jahr 1973: Ich war stolz, als Lothar Wagner mir bereits nach wenigen Wochen ein „boxerisches Talent“ bescheinigte. Anscheinend hatte ich mich gegenüber den Sparrings-Partnern im Ring gut geschlagen. Schon vier Monate später meldete Lothar Wagner mich als Teilnehmer für eine öffentliche Box-Veranstaltung an. Sie sollte in der Stadt Lengerich, 130 km entfernt von Oldenburg, stattfinden. Der dortige Boxverein hatte die Box-Staffel des Oldenburger PSV zu einem Schaukampf eingeladen. Ich sollte gegen einen Gegner antreten, der ebenso wie ich ein Box-Anfänger war.

Meine Niederlage im Boxring

Nach Lengerich fuhren wir mit einem VW-Bus. Hans Weber war mit dabei. Die Veranstaltung fand im Festsaal einer Gastwirtschaft statt, in dessen Mitte der Boxring aufgebaut war. Bei der Ankunft erfuhren wir, dass mein vorgesehener Gegner kurzfristig erkrankt war. Damit die Zuschauer die angekündigte Anzahl von Kämpfen, für die sie gezahlt hatten, auch zu sehen bekamen, sollte ich auf Wunsch der Gastgeber gegen einen Mann antreten, der über eine mehrjährige Box-Erfahrung verfügte. Er hatte die meisten Kämpfe erfolgreich bestritten, war älter als ich und von größerer Statur. Mein Trainer, Lothar Wagner, hatte zwar Bedenken, doch ich stimmte zu.

Dicke Schwaden von Tabakrauch hingen in der Luft des Saales, in dem der Boxring stand. Mein Gegner hatte mit mir leichtes Spiel: Ich wurde von ihm regelrecht verprügelt. Als ich bewusstlos am Boden lag und vom Ringrichter angezählt wurde, warf Lothar Wagner das Handtuch. So kam es „nur“ zu einem technischen K.O. Taumelnd verließ ich den Boxring. Die letzten Sekunden haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt: Erst wurde mir schwarz vor Augen, so dass ich nur noch den Lärm der Zuschauer wahrnahm. Dann setzte mein Gehör aus, und ich verlor das Bewusstsein.

Die Bilanz des Kampfes ließ sich sehen, denn mein Gegner hatte gut getroffen: Ich war „ausgeknockt“ worden, meine Nase hatte sich auf die Seite gelegt, und ein oberer Schneidezahn war abgebrochen. Mit einem Zahnschutz wäre mir das sicherlich erspart geblieben, doch das war in meiner Alters- und Gewichtsklasse damals nicht üblich gewesen. Als ich einige Tage später den Zahnarzt aufsuchte, erfuhr ich, dass alle vier Schneidezähne geschädigt waren. Sie wurden gezogen und durch ein Plastikteil ersetzt, das ich mit der Zunge herunterklappen konnte. Wenn ich anschließend lächelte, kamen nur noch die Eckzähne zum Vorschein. Das sah nicht sehr freundlich aus.

Die schiefe Nase hatte ich nach dem Kampf vor dem Spiegel gerade gebogen, doch der Luftkanal blieb verstopft, so dass ich lange Zeit kaum durch die Nase atmen konnte. Das besserte sich erst nach einer Operation im Sommer 1976 (Bild). Danach machte ich mit dem Boxen Schluss. Und das Fazit? Der erste öffentlicher Kampf war auch mein letzter, denn „ein Boxer muss Spitze sein, sonst kassiert er nur Schläge“ (Box-Legende Gustav „Bubi“ Scholz). So talentiert, wie mein Trainer geglaubt hatte, war ich nicht gewesen.

Helga T.* und ihr Zuhälter

Einige Monate nach dem Boxkampf, den ich in Lengerich verloren hatte, erlitt ich eine Niederlage, die mich ideell viel stärker schmerzte. Im Juni 1974 hatte ich die fünf Jahre ältere Helga T. (Pseudonym) kennengelernt. Sie war 22 Jahre alt und bis vor kurzem in Hamburg auf den Strich gegangen. Von dort war sie geflohen, weil ihr zehn Jahre älterer „Lude“ sie nicht gut behandelt hatte. In Oldenburg fühlte Helga sich sicher. Sie arbeitete nun im „HOLSTEN-ECK“. Franz Scharmann, der Gastwirt, hatte ihr in der Wohnung über dem Lokal ein Bett zur Verfügung gestellt.

Anfang Juli 1974 bezog Helga eine Wohnung in der Nähe des Pius-Hospitals. Als wir im August 1974 eines Nachts den nahe gelegenen Schnell-Imbiss am Heiligengeistwall („Wurst-Maxe“) aufsuchten, erwartete uns eine Überraschung. Der Hamburger Zuhälter tauchte in Begleitung eines anderen Mannes vor uns auf. Helga erschrak, als die beiden Männer vor uns standen. Der Zuhälter griff nach ihr, doch Helga riss sich los. Sie flüchtete, und ich stellte mich den Männern in den Weg.

An das Dach des Imbiss-Standes schloss sich eine Kunststoffwand als Wetterschutz an (Bild ohne Wand). Drinnen war es so eng, dass den Männern der Weg verstellt war, als ich vor ihnen stand. Doch das hinderte sie nicht, Helga zu verfolgen. Mit nur einem Schlag räumte mich der Zuhälter beiseite. Dann stürmten die Männer hinaus.

Das ging alles so schnell, dass Helga nur über einen geringen Vorsprung verfügte. Die Männer waren ihr also dicht auf den Fersen. Das glaubte ich jedenfalls und wollte ihnen deshalb schnell folgen. Doch als ich wieder auf den Beinen war und den Schnell-Imbiss verließ, waren die Männer wie vom Erdboden verschluckt. Ob es ihnen bei der Verfolgung von Helga ebenso ergangen war? Helga war tatsächlich entkommen. Sie hatte sich in der nahe gelegenen Grünanlage versteckt, bevor sie den Mut fand, die Wohnung aufzusuchen. Zum Glück war dem Zuhälter die Adresse nicht bekannt gewesen.

Die nächtliche Begegnung mit dem Zuhälter wurde für Helga zu einer Zäsur. Sie gab ihre Tätigkeit im „HOLSTEN-ECK“ auf und unterzog sich einem medizinischen Eingriff. Als ich sie im Krankenhaus besuchte, saß ein älterer, gut gekleideter Verehrer an ihrem Krankenbett. Kurz danach zog Helga aus Oldenburg fort. Sie wollte die Gespenster der Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen. Es ist ihr gelungen.

Im Jahr 2010 kam der Film „The Tourist“ in die Kinos. Die weibliche Hauptrolle spielte Angelina Jolie. Als ich den Film sah, stand plötzlich Helga T. vor meinem geistigen Auge. Ich war verblüfft, wie sehr die Schauspielerin Angelina Jolie der jungen Helga T. ähnelte, die ich im Jahr 1974 in Oldenburg kennengelernt hatte.

Prostitution am Stadthafen

Wer bei weiblicher Prostitution nur an Zuhälter, Zwang und Gewalt denkt, berücksichtigt nicht, dass es auch Frauen gibt, die allem Anschein nach ihr Gewerbe selbstbestimmt ausüben und sich nicht dazu genötigt sehen. Wenn sich eine solche Frau irgendwann aus freien Stücken entschließt, einen Mann an ihrem Leben und ihren Einkünften teilhaben zu lassen, hat das wenig oder nichts mit der üblichen Vorstellung von Zuhälterei zu tun. Das ändert nichts daran, dass es gute Gründe gibt, jede Form der Prostitution und erst recht eine damit verbundene Vorteilnahme Dritter abzulehnen.

Selbstbestimmt wirkten auch die Prostituierten, deren Männer im „HOLSTEN-ECK“ verkehrten.

Diese Frauen gingen an der Straße bzw. im Lokal „GOLDENER ANKER“ ihrem Gewerbe nach, während sich ihre Männer die Zeit auf andere Weise vertrieben. An Jürgen L., Gert O., Claus T. und deren Frauen erinnere ich mich gut. Die Männer gingen respektvoll mit den Frauen um. Manchmal schien es, als hätten nicht die Männer, sondern die Frauen die Hosen an.

Gert O. ist mir wegen seines höflichen Verhaltens besonders im Gedächtnis geblieben. Er wurde 1938 geboren und wuchs lange Zeit vaterlos auf. Sein Vater war im Krieg Soldat gewesen und galt danach als vermisst. Niemand wusste, dass sich Gerts Vater in Kriegsgefangenschaft befand. Als Gerts Mutter nach vielen Jahren des Wartens die Heimkehr ihres Ehemannes für ausgeschlossen hielt, ließ sie ihn für tot erklären. Sie heiratete erneut und brachte ihren zweiten Sohn, Gerts (Halb-) Bruder Claus, zur Welt. Kurz danach stand ihr erster Ehemann, Gerts Vater, vor der Tür. Der für tot erklärte Mann war nach vielen Jahren sowjetischer Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurückgekehrt.

Das Schicksal seines Vaters veranlasste Gert O. im Jahr 1956, den Dienst in der neu gegründeten Bundeswehr zu verweigern und in die DDR zu fliehen. Am 11.11.1956 berichtete die in Ost-Berlin ansässige Zeitung „NEUES DEUTSCHLAND“ (ND), das Zentralorgan der damaligen SED, dass „der Jugendliche Gert O.“ Bürger der DDR werden wolle, um sich der westdeutschen Wehrpflicht zu entziehen. Gert O. ahnte damals nicht, dass es sechs Jahre später auch in der DDR die Wehrpflicht geben sollte. Den Entschluss, in die DDR auszuwandern, bereute er schon bald. Gert O. verließ die DDR nach kurzer Zeit und kehrte zu seiner Familie im Ruhrgebiet zurück.

Gert O. hatte den Beruf des Kellners gelernt. Seine Ehefrau hieß Ilse. Ilse war eine patente Person, mit der man „Pferde stehlen“ konnte. Sie hatte Haare auf den Zähnen.

Ilse O. verfügte ebenso wie die Frau, mit der Gerts Halbbruder Claus zusammenlebte, über ein Zimmer im Bordell „GOLDENER ANKER“. Anfang 1977 gab Ilse O. ihr Gewerbe auf, um zusammen mit Gert O. in Wilhelmshaven ein Lokal zu betreiben. Ilse O. starb im Jahr 2018. Sie wurde 74 Jahre alt. Wenige Tage später stürzte ihr Ehemann Gert eine Treppe herunter. Er ist seitdem ein Pflegefall und kaum noch ansprechbar.

Bordell „GOLDENER ANKER“

Der „GOLDENE ANKER“ war eine einfache Hafenkneipe gewesen, aber durch die Zimmer-Vermietung an Frauen, die gewerblich tätig waren, zum Bordell geworden. Der Betreiber des Bordells, Walter Stanek, hatte das Haus erst gemietet und später erworben.

Der „GOLDENE ANKER“ verfügte aufgrund eines Anbaues über insgesamt zwölf Zimmer. Die im Souterrain gelegene Gaststätte wurde eine Zeitlang verpachtet.

Die Frauen, die im „GOLDENEN ANKER“ Zimmer gemietet hatten, akquirierten ihre Kunden im Lokal oder vor dem Eingang, um sie danach im Zimmer „stationär“ zu behandeln. Andere Frauen warteten am Stau, an der Klävemannstraße und der Güterstraße auf zahlungswillige Autofahrer, mit denen sie anschließend auf das unbewachte Hafengelände fuhren. Eine eigene Liga bildeten die rund 20 Frauen des „EROS-CENTERS“, das sich an der Güterstraße, Ecke Ankerstraße befand. Zwischen ihnen und den Frauen vom Straßenstrich kam es hin und wieder zu einem „Dirnen-Krieg“.

Tammo tom Dieck

Bei dem Erben Tammo tom Dieck handelt es sich vermutlich um den Mathematiker Tammo tom Dieck. Er entstammt einer ehrwürdigen alten Oldenburger Familie mit bekannten Vorfahren. Tammo tom Dieck wurde 1938 in Brasilien geboren, wuchs in Deutschland auf, studierte erst in Göttingen, dann in Saarbrücken und habilitierte sich 1969 in Heidelberg. Er war zu Beginn der 1970er Jahre Professor in Saarbrücken und ab 1975 in Göttingen. Tammo tom Dieck gilt als einer der bedeutendsten Vertreter algebraischer Topologie.

Wiedersehen nach 20 Jahren

Jürgen L. war einer der Männer, deren Frauen „anschafften“ und im „GOLDENEN ANKER“ ein Zimmer gemietet hatten. Ich traf ihn 20 Jahre später in Berlin wieder, als ich mit dem Fahrrad die Otto-Suhr-Allee entlang fuhr. Wir staunten beide, als wir uns plötzlich gegenüber standen. Jürgen L. hatte sich nach dem Tod seiner Frau aus dem „Milieu“ verabschiedet, neu geheiratet und in Berlin eine Anstellung als Monteur gefunden. Er starb im Jahr 2004. Das Bild stammt aus demselben Jahr. Jürgen L. wurde nur 66 Jahre alt.

P. und der Umzug nach Berlin

Mit Akkordeon, 1976

Als ich irgendwann Ende 1976 im „HOLSTEN-ECK“ auf meinem Akkordeon „La Paloma“ spielte, lächelte mich eine junge Frau an. Sie hieß P. und arbeitete dort seit einer Woche. Wir wurden ein Paar. Eines Abends fing eine andere Frau, die mir einmal Geld zugesteckt und nun zu viel getrunken hatte, mit P. einen Streit an, der in einer Prügelei endete. Die Frau schlug wütend auf P. ein, zog aber den kürzeren: Sie hatte P. unterschätzt.

Ein halbes Jahr später, im Sommer 1977, endete meine Berufsausbildung. Als mir die Firma „BETEFA Berliner Telefonschnur-Fabrik GmbH“ einen Arbeitsvertrag anbot, zog ich mit P. nach West-Berlin. Wir waren jetzt beide 20 Jahre alt. Anfang 1978 heirateten wir. Die Feier fand in der Wohnung von Greta und Henning Eichberg statt. Vielleicht waren wir noch zu jung für die Ehe. Nach nicht einmal zwei Jahren trennten wir uns.

Rückblick und Fazit

Seitdem ich aus Oldenburg weggezogen bin, hat sich das Bild des alten Stadthafens stark verändert. Die früheren Lager- und Umschlagbetriebe mit ihren Speichern gibt es nicht mehr. Sie wurden vor langer Zeit abgerissen und durch langweilige Büro-Gebäude ersetzt. Nur das Gebäude, in dem einst der Hafenmeister residierte, blieb erhalten. In den Räumen befindet sich jetzt ein Restaurant.

Ausgebauter Hafen im Ostteil der Stadt Oldenburg
Mit dem Abriss der alten Speicher verlor der Hafen einen Teil seiner Seele.

Seitdem der Hafen-Umschlag an den östlichen Stadtrand verlegt wurde, wird der alte Stadthafen für andere Zwecke genutzt. Wo früher die Ladung der Frachtschiffe „gelöscht“ wurde, liegen heute nur noch die Yachten der Oldenburger Freizeit-Kapitäne.

An die Menschen, denen ich in den Jahren 1973 bis 1977 im Oldenburger Stadthafen und dessen Umfeld begegnet bin, denke ich oft mit Wehmut zurück. Das gilt vor allem für meinen früheren Vorarbeiter bei RHENUS-MIDGARD, Heinz Schönnagel.