Schalom Ben-Chorin

Foto: Harald Bischoff, CC-BY-SA-3.0

Schalom Ben-Chorin war ein deutsch-israelischer Schriftsteller und Religionsphilosoph, der sich nach 1945 für den christlich-jüdischen Dialog, die Überwindung des Antijudaismus und Antisemitismus, für die Möglichkeit einer „Theologie nach Auschwitz“ und für die Versöhnung zwischen Israel und Deutschland einsetzte.  Er wurde am 20. Juli 1913 in München als Fritz Rosenthal geboren – und 1935 von den Nationalsozialisten vertrieben. In Palästina nahm er seinen neuen Namen an. Er bedeutet: „Frieden, Sohn der Freiheit“.

Der Sohn Tovia Ben-Chorin

Der Sohn, Dr. Tovia Ben-Chorin, geb. 1936, scheint dem Vater nicht nur äußerlich zu ähneln. Tovia Ben-Chorin war bis zum Frühjahr 2015 Rabbiner einer Jüdischen Gemeinde in Berlin. Im Mai 2015 sprach er im Kohlenkeller am Mexikoplatz, den meine Frau Nina und ich gemeinsam betreiben, über Das Wesen des Menschen und die Bedeutung der jüdischen Festtage.

Sehnsucht nach der deutschen Heimat

Schalom Ben-Chorin starb am 7. Mai 1999 in Jerusalem. Er dachte auch in der Emigration in großer Liebe an seine Heimatstadt München zurück – trotz allem, was ihm an Leid in dem Deutschland der 1930er Jahre zugefügt worden war. Das folgende Gedicht verfasste Schalom Ben-Chorin im Jahr 1937. Es ist ein Zeugnis großer Herzensgüte. Die Liebe zur alten Heimat – und ihrer Sprache – konnten ihm die Nationalsozialisten nicht rauben.

München

Immer ragst Du mir in meine Träume
Meiner Jugend – zartgeliebte Stadt,
Die so rauschende Kastanienbäume
Und das Licht des nahen Südens hat.

Ja, die Schatten deiner schlanken Türme
Liegen blau auf meinem Augenlid.
Deine langen Regen, deine Stürme
Rauschen, brausen noch durch mein Gemüt.

Daß ich dir so sehr gehöre,
Stadt am Rand der Berge und der Seen,

Daß ich deine Kirchenchöre, Deine Schrammelweisen in mir höre,
Wußte ich – und mußte dennoch gehn.

Ist das Echo meiner Kinderschritte
In den Straßen dort noch nicht verhallt?
Hängt noch manche ungewährte Bitte
In den dunklen Kronen dort im Wald?

Sitzt vielleicht ein Mädchen noch am Fenster
In dem stillen Hause vor der Stadt,
Die mich einst vergnügter und beglänzter
Und beschwingter auch gesehen hat?

Sicher binden mich solch feine Fäden
– Wie Altweiberhaar im Sommerwind – ,
Warum machtest du mich sonst in jedem
Meiner Träume krank und tränenblind?

Sicher träumst du, wenn die Ave-Glocken
Aus den Türmen auf die Dächer taun,
Von den wilden, hellen Kinderlocken,
Von den Augen, die dich staunend schaun.

Meine Augen waren’s und mein Haar. –
Des Vertriebenen gedenkst du nun.
Der ich, ferne Stadt, der deine war,
Darf in deinen Mauern nicht mehr ruhn.

Aber deine Mauern ruhn in mir.
In den Nächten baue ich dich neu,
Durch die nieverschlossne Träume-Tür
Darf ich dich betreten ohne Scheu.

Aus der Autobiographie: „Jugend an der Isar“
(dtv, Juli 1988 S.185/186)