Die mündigen Bürger

Vorbemerkung: Im Jahr 1998 verfasste ich für die »sozialistische Tageszeitung« Neues Deutschland (ND), die der Partei „Die Linke“ (damals PDS) nahesteht, zwei Beiträge zum Thema „Wie national muss die Linke sein?“. André Brie, der damalige Wahlkampfmanager der PDS, hatte die Idee. Mit meinen zwei Aufsätzen wollte er seiner Partei eine Debatte aufzwingen. Hintergrund war die vorangegangene Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gewesen, bei der die Phantom-Partei „Deutsche Volksunion“ (DVU) 16 Sitze errungen hatte.

Mein erster Beitrag war am 31.07.1998 unter der Überschrift: „Für die Sache des Volkes“ erschienen. Die Reaktion fiel heftiger aus als erwartet. Die ND-Redaktion hatte eine politische Debatte anstoßen wollen. Stattdessen war sie selbst zur Zielscheibe der Kritik geworden. Da sich die Situation auch nach mehreren Wochen nicht beruhigt hatte, beschloss die ND-Redaktion, meinen zweiten Beitrag „vorerst“ zurückzustellen. Dabei blieb es. Er wurde nie gedruckt. Deshalb habe ich ihn dokumentiert.

Hier kommen Sie zu dem ersten Beitrag („Für die Sache des Volkes“).

Die „nationale Frage“

„Wir fordern mehr demokratische Kontrolle über die Bundeswehr, damit sich nicht auch bei uns Vorfälle ereignen können wie in Chile, wo ein reaktionäres Militär gegen das eigene Volk putschte.“ Mit diesen Worten beendete im Jahr 1974 auf dem Bundeskongreß der ,,Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in Grünberg/Hessen ein 17-jähriger Lehrling seinen Redebeitrag. Ein Teil des Saales tobte vor Zorn, ein anderer Teil klatschte Beifall.

Der 17-jährige Lehrling war ich selbst. Meine Freunde und ich hatten innerhalb der „Jungen Nationaldemokraten“ eine Art „rote Zelle“ errichtet. In dem Büro unseres Kreisverbandes hingen Bilder von Marx, Engels und Mao-Tse-tung. Ein Wandplakat mit einem Gedicht von Pablo Neruda erinnerte an den Tod Allen­des. In dem mageren Schallplattensortiment befanden sich zwei Ernst-Busch­Schallplatten aus dem Dortmunder „pläne-Verlag“: Eine der beiden Platten war das Geschenk einer Freundin, die mich einige Male zu den Schulungskursen der maoistischen KPD mitgeschleppt hatte. Stalins Schrift „Über dialektischen und historischen Materialismus“ war das Thema gewesen.

Das alles war extrem widersprüchlich und entzieht sich einem ausschließlich politischen Deutungsversuch. Ein etwas rebellischer Charakter und eine kräftige Portion Naivität waren dabei mit im Spiel. Aber hätte ich diese Eigenschaften nicht auch in einer anderen Gruppierung ausleben können? Warum war ich ausgerechnet Mitglied der ,,Jungen Nationaldemokraten“ geworden?

Hintergrund

1970 gab es in der westdeutschen Bundesrepublik noch keine Diskussion um das Asylrecht oder um Zuwanderung. Ich kannte weder den Begriff „Überfremdung“, noch hatte ich antisemitische Vorurteile. Für meinen Entschluss war etwas anderes ausschlaggebend gewesen: der Umgang der westdeutschen Gesellschaft mit der deutschen Frage. Ich empfand die Tatsache, dass sich die meisten Westdeutschen schon früh mit der deutschen Teilung abgefunden hatten, als Verrat an den Menschen im Osten. Dagegen wollte ich etwas unternehmen. Ich wollte diejenigen unterstützen, die in meinem Bewusstsein am deutlichsten für die deutsche Einheit eintraten. Das war in meinen Augen die NPD.

Ich wuchs in einem Elternhaus auf, in dem Solidarität mit den Menschen in der DDR als Geisteshaltung selbstverständlich war. Auch wenn heute oft darüber gelästert wird: Mich hat es als Kind und Jugendlichen sehr bewegt, wenn wir Weihnachten die brennenden Kerzen in die Fenster stellten, um damit die Verbundenheit mit den Menschen 11im Osten“ auszudrücken. Das war keine „westdeutsche Arroganz“. Die Deutschen hüben und drüben gehörten für uns zusammen. Die Teilung erschien uns unnatürlich. Als wir Brüder später den Wehrdienst in der Bundeswehr verweigerten, so auch deshalb, weil wir es als irrsinnig empfanden, dass BRD-Deutsche und DDR-Deutsche aufeinander schießen sollten, noch dazu unter Oberbefehl einer je­weils fremden Macht.

Erst später, nachdem ich auf die Traditionslinien eines demokratischen und „linken“ Patriotismus gestoßen war, wurde aus meinem „Aufbegehren“ gegen die Selbstzufriedenheit der westdeutschen Gesellschaft auch ein Aufbegehren nach „innen“: Gegen die NS-Verklärung in den Reihen der NPD und der ,,Jungen Nationaldemokraten“ ebenso wie gegen Konservative, die der NPD einen Platz als bürgerliche Kraft rechts von der CDU verschaffen wollten (das schien bis Mitte der 70er Jahre noch denkbar).

Meine Freunde und ich sahen die Volksrepublik China als ein Beispiel dafür an, dass es möglich war, einen Sozialismus des eigenen, nationalen Weges aufzubauen. Diese Form eines „nationalen Sozialismus“ verstanden wir als Gegensatz zu dem als verbrecherisch erkannten rassistischen „Nationalsozialismus“ des Dritten Reichs. Erst später begriff ich, dass auch der chinesische Weg totalitär und menschenverachtend war.

Nicht nur die Haltung der meisten Westdeutschen gegenüber der DDR empörte mich, sondern auch die in der Bundesrepublik ritualisierte Form der „Vergangenheitsbewältigung“. Ich vermisste in den Schuldzuweisungen das Bekenntnis zum eigenen Land. Manchen Deutschen schien es nicht schwer zu fallen, von deutscher Schuld zu reden. Die Redner meinten sich anscheind auch nie selbst. Schuldig waren nur „die anderen“.

Der Umgang mit der deutschen Geschichte

Schon früh glaubte ich einen Zusammenhang entdeckt zu haben zwischen der als Ritual empfundenen „Vergangenheitsbewältigung“ und der Bereitschaft in Westdeutschland, sich mit der deutschen Teilung abzufinden. Mir fiel auf, dass die Verfechter des „status quo“ besonders häufig mit der deutschen Schuld argumentierten. So gab es Theologen, die allen Ernstes predigten, dass die Teilung Deutschlands die Strafe Gottes sei für das Unrecht, das „wir Deutsche“ verübt hatten. Diese Strafe müssten „wir Deutschen“ als unser nationales Schicksal anerkennen. Das klang nach schwerer Last. Aber den Predigern war davon nichts anzumerken. Ich hatte den Verdacht, dass diese Menschen ihre deutsche Identität am liebsten verleugnet hätten.

„Wir Deutschen“ sollten in Wirklichkeit „die anderen“ sein. Ich fand das unehrlich. Ich wollte mich zu meinem Land bekennen, mein Land lieben und stolz darauf sein. Und ich wollte mir diese Liebe nicht nehmen lassen. Weil ich erlebt hatte, dass Deutschland mit dem Dritten Reich gleichgesetzt wurde, suchte ich nach Argumenten, die das Dritte Reich „entlasten“ sollten. Meinen Schullehrern nötigte ich bei jeder Gelegenheit Diskussionen über den II. Weltkrieg auf. Mit 14 Jahren glaubte ich mehr zu wissen als meine Lehrer. Wenn sie von der deutschen Aufrüstung sprachen, verwies ich auf die Waffenstärke der Nachbarländer. Als ich den ersten Lehrer in einem solchen Streitgespräch „mattgesetzt“ hatte, fühlte ich mich als moralischer Sieger.

Fast allen Lehrern konnte ich anmerken, wie unangenehm ihnen diese Diskussionen waren. Das steigerte meinen Ehrgeiz, die Diskussion über das „Dritte Reich“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit neu zu entfachen. Im Lehrplan meiner Jahrgangsstufe war das Thema nicht vorgesehen.

Weil ich mich noch gut daran erinnere, was damals in mir vorging, als ich mit mei­nen Schullehrern diskutierte, kann ich nachvollziehen, welcher Reiz diese Art von „Tabubruch“ auch heute auf Jugendliche ausübt. In einer Gesellschaft, in der es kaum noch einen positiven Konsens gibt, erhalten gesellschaftliche Tabus eine Er­satzfunktion. Die einen klammern sich an den historischen „Antifaschismus“ und verdrängen die problematische Seite dieses Begriffs. Die anderen identifizieren die Gesellschaft, die sie hassen, mit den Werten, die diese Gesellschaft betont. So wird aus dem „anti-nationalsozialistischen Konsens“, der die Etablierten scheinbar mit den Linksautonomen vereint, ein „Anti-Anti-Faschismus“ der Rechten. ,,Anti-Antifaschismus“ wird damit zu radikaler gesellschaftlicher Opposition, weil er den Mi­nimal-Konsens dieser Gesellschaft aufkündigt. Das Ganze geht einher mit einer historischen Verklärung, die alle sozialen Sehnsüchte bedient, die heute unbefriedigt sind.

Linke Leute von rechts

Mein Umdenken verdanke ich einem Zufall. Eines Tages fiel mir ein Flugblatt in die Hände, in dem von „nationaler Unabhängigkeit“, ,,demokratischen Rechten in Ost und West“ und einem „vereinten sozialistischen Deutschland“ die Rede war. Meine erste Reaktion war ablehnend. Dann wurde ich neugierig. Was ich bisher für unver­einbar hielt, stand in diesem Flugblatt friedlich nebeneinander. Das löste in mir viele Fragen aus. Ich wollte mehr wissen. Dadurch begann mein Ablösungsprozess, der mich zunächst zum „Dissidenten“ machte und schließlich damit endete, dass ich die ,,Jungen Nationaldemokraten“ verließ.

Anfang der 70er Jahre gab es in Westdeutschland eine Vielzahl kleiner, politischer Gruppen, die sich „nationalrevolutionär“ nannten. Die meisten dieser Gruppen lö­sten sich im Zusammenhang mit der Parteigründung der GRÜNEN Anfang der 80er wieder auf. Etliche ihrer Mitglieder beteiligten sich am Aufbau der neuen Partei.

Auch die „Nationalrevolutionäre“ stritten für das Ziel der deutschen Einheit. Aber sie sprachen gleichzeitig von der Solidarität mit der Dritten Welt. Dem Imperialis­mus von „oben“ stellten sie den Begriff eines „ Befreiungsnationalismus“ von „unten“ entgegen. Dabei beriefen sie sich auf den einstigen NS-Widerstandskämpfer Ernst Niekisch, in dem sie einen Theoretiker des weltweiten Befreiungskampfes sa­hen. Niekisch war nach 1918 Vorsitzender des Münchener Arbeiter- und Soldatenrates gewesen. Mit seiner Schrift: ,,Hitler, ein deutsches Verhängnis“ hatte er schon 1932 fast „seherisch“ die Entwicklung des Dritten Reiches im Voraus beschrieben. Er war bis 1945 im Zuchthaus Brandenburg eingekerkert. In der DDR gehörte er als SED-Mitglied der Volkskammer an. Nach dem 17. Juni 1953 brach er mit der SED. In West-Berlin verweigerte man ihm jahrelang die Anerkennung als Nazi-Opfer, weil er Mitglied der SED gewesen war.

Ernst Niekisch

Trotz seiner eindeutig antinazistischen Haltung war Niekisch ein problematischer Bezug. Er war nicht der „Musterdemokrat“, als den er sich selbst in seiner Autobio­graphie gesehen hat. Deshalb muss er aus heutiger Sicht differenziert beurteilt wer­den. Das irritierte mich damals jedoch nicht. Ernst Niekisch bedeutete für mich einen politischen Dammbruch. Er verkörperte für mich das „andere Deutschland“, nach dem ich so lange gesucht hatte. Plötzlich wehrte ich mich nicht mehr gegen die Vorstellung, daß es tatsächlich das Deutschland der Richter und Henker gab. Denn nun wusste ich, dass es daneben nicht nur das Deutschland der Dichter und Denker, sondern auch das Deutschland der sozialistischen Patrioten gegeben hatte. Widerstandskämpfer, die für ein besseres Deutschland gekämpft hatten. Männer und Frauen, die sich gegen die Verbrechen aufgelehnt hatten, die im deutschen Namen geschehen waren. Deutsche, die Deutschland nicht den Nazis überlassen wollten.

Der Widerstand gegen das NS-Regime

Durch die Beschäftigung mit Ernst Niekisch stieß ich auf weitere Personen, die ich nun in einem anderen Licht sah, als es mir Wochen oder Monate vorher möglich gewesen wäre: Harro-Schulze-Boysen, Theodor Haubach, Adolf Reichwein, Richard Scheringer und viele andere.

Einige dieser Namen kannte ich bereits und war nun erstaunt darüber, wie wenig sie mich bisher interessiert hatten. Als „Antifaschisten“ waren sie für mich bis dahin nicht unterscheidbar gewesen, Männer ohne Gesicht. Jetzt war ich gefesselt von ih­ren Lebensläufen, von ihren Hoffnungen und ihren Idealen. In Richard Scheringer fand ich das, was ich besonders vermisst hatte: den aufrechten Gang eines Deut­schen, der sich zur Verantwortung für den Nationalsozialismus bekannte, obwohl er dafür weniger persönliche Gründe hatte, als viele andere.

Die 70er Jahre

Die „Nationalrevolutionäre“ der 70er Jahre waren eine kurzzeitige Erscheinung, de­ren politische Langzeitwirkung ihre organisatorische Existenz überdauerte. Mit ih­ren Theorien lösten sie auch bei anderen ,,Jungen Nationaldemokraten“ Diskussi­onsprozesse aus. Die Ideen und Begriffe entwickelten eine Eigendynamik, die zu immer neuen Auseinandersetzungen und Ablösungsprozessen führten. Darum war ich kein Einzelfall. So wie mir erging es vielen anderen vorher und nachher.

Zwei Monate nach dem Bundeskongress der ,,Jungen Nationaldemokraten“ endete meine Mitgliedschaft. Seitdem sind fast 25 Jahre vergangen. Zwischen den ,,Jungen Nationaldemokraten“ von heute und denen, die wie ich Anfang der 70er Jahre dabei waren, liegen Welten. Wenn ich heute junge NPD-Mitglieder mit ihren kahlgescho­renen Köpfen sehe, die mit NS-Emblemen herumlaufen, fällt es mir schwer, dieses Bild mit meinen früheren Erlebnissen zusammenzubringen.

Der Wahlsieg der DVU in Sachsen-Anhalt

Trotzdem habe ich nicht vergessen, wie vielfältig die Motive Jugendlicher sein kön­nen, sich in rechten Gruppen zu engagieren. So wie ich damals aus bestimmten Gründen den Weg zur NPD einschlug, so haben heutige Jugendliche ihre anderen Gründe. Dabei entscheiden oft nur Zufälligkeiten, ob der Jugendliche Mitglied einer „rechten“ oder „linken“ martialischen Formation wird. Die „rechten“ Jugendlichen sind ebenso wie ihre „linken“ Altersgenossen Teil einer Jugendkultur und Ausdruck eines sozialen Protestes. Die Hässlichkeit dieser Jugendkultur spiegelt die Zerrissenheit unseres Landes und die Entfremdung in unserer Gesellschaft wider.

Nach dem Wahlsieg der DVU in Sachsen-Anhalt wurde aus den anderen Parteien schnell der Ruf nach Konsequenzen laut. Der bayerische Innenminister Beckstein kündigte an, eine Kampagne für mehr Toleranz zu starten und eine restriktivere Ausländerpolitik betreiben zu wollen. Er sagte das in einem Satz und ohne Pause. Ob der Zynismus gewollt war?

Gegen die bisherige Ausländerpolitik, die Deutschland zum Einwanderungsland gemacht hat, lässt sich viel sagen. Der wichtigste Vorwurf lautet, dass die Menschen dabei keine Rolle spielen. Weder die Ausländer, noch die Deutschen. Dieselben Po­litiker, die vorgestern noch billige Arbeitskräfte suchten und gestern die Zuwande­rung ausländischer Beitragszahler für die Rentenkasse propagierten, reden nun von ,,Restriktionen“.

Hass und die Frage der Identität

Wer das Bedürfnis der Menschen nach Identität nicht respektiert, betreibt eine Politik, die gegen die Interessen der Menschen gerichtet ist. Schulklassen in der alten Bundesrepublik, die mehr als 50% Ausländeranteil haben, sind dafür ein Zeichen. Die Ablehnung, die sich eigentlich gegen die verantwortlichen Politiker richten müsste, richtet sich stattdessen gegen die Ausländer selbst. Nicht die Ausländer sind schuld, sondern die Ausländerpolitik ist Teil einer insgesamt falschen Entwicklung, für die überwiegend konservative und neoliberale Politiker verantwortlich zu ma­chen sind. Sie haben diesem Land auch das Privatfernsehen und die damit verbun­denen TV-Gewaltorgien beschert. Sie haben kein Recht, sich heute scheinheilig an die Spitze einer Kampagne zu stellen, die für „Toleranz“ wirbt.

Die deutsche Politik gegenüber Ausländern ist unberechenbar und würdelos. Wer so mit Fremden umgeht, der hat auch gegenüber der eigenen Bevölkerung keine Hemmungen. So trifft die soziale Kälte in diesem Land eben nicht nur Ausländer, sondern auch Deutsche. Nur in einem solchen Klima kann der Hass gedeihen, der sich auch gegen Ausländer richtet. Hass und ideologische Verblendung lassen sich nicht durch Demonstrationen und selbstgerechte „Aufklärungsarbeit“ beseitigen. Nicht durch „antifaschistische Sprechchöre“ war meine politische Überzeugung als Jugendlicher verändert wor­den, sondern durch Menschen, die meine Motive teilten und dabei auf meine Fragen andere Antworten hatten.

Konsequenzen

Das bedeutet für mich, dass das, was die Wähler in Sachsen-Anhalt bedrückt, ernstgenommen werden muss. Deutschland ist kein Land, in dem man sich wohl- fühlt. Das ist die eine Botschaft aus Sachsen-Anhalt. Die andere verlangt, mit den Menschen zu sprechen. Mit rechten Jugendlichen ebenso wie mit jungen Erwachse­nen, die DVU gewählt haben. Und warum nicht eigentlich auch mit denen, die im Landtag sitzen werden? Sind das noch „Verführte“ oder bereits „Verführer“?

In der Westberliner „tageszeitung“ erschien wenige Tage nach der Wahl in Sachsen-Anhalt ein Kommentar, in dem diese Unterscheidung keine Rolle spielt: ,,Nazis sind diejenigen, die Nazis wählen“. Der Autor steht mit seiner Einschätzung nicht allein. Er spricht das aus, was ein Teil der Linken denkt.

Der „Rechtsextremismus“ ist kein Phänomen des Ostens. Ein deutsches Phänomen ist es allerdings, dass Begriffe wie Solidarität, Gemeinsinn, Staat und Nation in unse­rem Land der politischen Rechten überlassen werden. Eine Linke, die diese Begriffe nicht positiv besetzt, leistet Wahlhilfe für diejenigen Parteien, die die Nation missbrauchen und den Gemeinsinn pervertieren. Eine solche Linke darf sich nicht wun­dern, wenn der Wähler sich nach rechts wendet.

Vielleicht sehen das die Wähler in Sachsen-Anhalt, die diesmal DVD gewählt ha­ben, genauso. Vielleicht wollten sie einfach nur die anderen Parteien wachrütteln. Dafür spricht, dass die meisten DVD-Wähler ihre Erststimme einem PDS- oder SPD­Kandidaten gegeben haben. Wenn es Proteststimmen waren, dann waren die Mehr­zahl der DVD-Wähler nicht „Rechte“ oder „verirrte Linke“, sondern einfach nur mündige Bürger.

Ursprüngliche Anmerkung der ND-Redaktion (1998): Roland Wehl ist 41 Jahre alt. Er war bis zu seinem 17. Lebensjahr Mitglied der Jungen Nationaldemokraten und anschließend bis 1980 Mitglied einer außerparlamentarischen Gruppierung, die sich auf den „National­revolutionär“ und späteren Volkskammer­-Abgeordneten der DDR, Ernst Niekisch, berief. Da­nach gehörte Wehl bis Ende der 80er Jahre der „Alternativen Liste“ in West-Berlin an. Roland Wehl arbeitete im Berliner „Bahro-Komitee“ und in der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ mit. Seit 1983 Mitarbeit bei der Zeitschrift „wir selbst“. Seit 1993 Beiträge für die Wochenzei­tung „Junge Freiheit“ (u.a. ,,Für eine selbstbe­wusste PDS“, ,, Die PDS als wirkliche Volks­partei?“)